29.05.2010

Es geht los! War Ardipithecus wirklich ein Hominide?

ResearchBlogging.orgBei der Darstellung der, gestern in Science erschienenen, Ardipithecus Kritik, hat Zinjanthropus drüben bei  "A Primate of modern aspect" eine sehr interessante Frage aufgeworfen.





Doch bevor ich mich der Beantwortung dieser Frage widme, eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts.
Im Grunde genommen gab es zwei Kritikpunkte, der eine drehte sich um die Klassifikation von Ardipithecus ramidus als Hominide, also in der Stammlinie zum Menschen stehend. In einem anderen Artikel ging es um den rekonstruierten Lebensraum von Ardipithecus. Ich konzentriere mich, weil ich mich damit etwas besser auskenne, nur auf den Klassifikationsartikel.
Dort wurde von Esteban Sarmiento kritisiert, dass die Merkmale, die für die Klassifikation von Ardipithecus als Hominide angeführt wurden, allesamt nur eine geringe phylogenetische Aussagekraft besitzen, da ein Großteil davon auch in vielen anderen Primatenarten, sowohl fossil als auch rezenten, zu finden sei.
Tim White und Kollegen, die die ursprüngliche Klassifikation von Ardipithecus vornahmen antworteten auf diesen Vorwurf, dass viele dieser Merkmale entweder in gleicher oder abgeleiteter Form auch bei den Australopithecinen zu finden seien und daher ein Merkmalskontinuum, ein so genanntes „Morphokline“ bilden und daher Ardipithecus zu den Hominiden gezählt werden kann.


Die Frage die nun gestern bei „A Primate of modern Aspect“ aufgeworfen wurde war folgende (ich hab sie jetzt mal übersetzt): „Welche Merkmale sind ‚gute’ Merkmale?“ Will heißen: “ Welche Merkmale sind denn nun wirklich gut für phylogenetische Analysen und Klassifikationen geeignet?"
Diese Frage lässt sich für morphologische Merkmale im Grunde überhaupt nicht beantworten weswegen ich versuchen will das Problem in einer etwas allgemeineren Form anzugehen.
„Gute“ Merkmale, sind zunächst einmal Merkmale mit einer besonders geringen Wahrscheinlichkeit mehrmals unabhängig voneinander erworben zu werden. Gut, dass ist wahrscheinlich ziemlich offensichtlich und deshalb auch nicht wirklich erhellend, vielleicht sollte man eine andere Frage stellen. Wie wär’s mit folgender: “Führt eine große Anzahl Merkmale mit geringer Qualität zu ‚guten’ Phylogenetischen Hypothesen?“


Zu Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick auf die molekulare Kladistik, denn je nach Methode kann man dort eine gewaltige Anzahl Merkmale mit jeweils geringer Aussagekraft (Sequenzvergleiche) oder wenige, komplexe Merkmale mit hoher phylogenetischer Signifikanz (so genannte „Rare genomic changes“) betrachten. In der Tat finden sich, unter Umständen gewaltige Unterschiede zwischen beiden Herangehensweisen, wie folgendes Beispiel zeigt.
Im Jahr 2002 haben Arnason und Kollegen eine Studie zur Verwandtschaft der Säugetiere vorgelegt, die sie mithilfe eines Vergleichs mitochondrialer DNA Sequenzen durchgeführt haben. In dieser Studie wurden die Flattermakis (eine mögliche Schwestergruppe der Primaten) innerhalb der Primaten und zwar als Schwestergruppe zu den Anthropoidea (Alt- und Neuweltaffen) platziert.
Wenn ich DNA Sequenzen vergleiche, so wird jedes Nucleotid als ein Merkmal betrachtet, dieses kann allerdings nur vier Zustände haben (A, T, G und C), ist damit also sehr anfällig für konvergente Evolution. Das ist besonders dann der Fall, wenn ich DNA Abschnitte betrachte die in verschiedenen Spezies unterschiedlich schnell evolvieren, wie es zufälligerweise bei der mitochondrialen DNA der Primaten der Fall ist (Lee, 1999), denn je schneller ein DNA Abschnitt evolviert, desto schneller geht die phylogenetisch relevante Information verloren.
Schmitz et al. (2002) konnten schließlich mithilfe von Rare genomic Changes (RGCs) zeigen, dass die Resultate von Arnason und Kollegen auf einem Artefakt beruhten und nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse repräsentierten.
RGCs haben den Vorteil, dass sie so selten im Genom vorkommen, dass die Wahrscheinlichkeit dass diese mehrmals unabhängig voneinander entstehen äußerst gering ist.


Gut, was hat das ganze jetzt mit Ardipithecus zu tun? Schließlich haben wir von dem Vieh ja keine DNA oder? Richtig haben wir nicht. Aber das Beispiel zeigt dass ich, auch wenn ich eine hohe Anzahl an Merkmale mit geringer phylogenetischer Aussagekraft habe, nicht per se davon ausgehen kann, dass ich ihre geringe Qualität durch ihre hohe Quantität wettmachen kann. Denn selbst wenn ich eine große Anzahl an Merkmale habe, so ist jede einzelne für sich gesehen noch immer anfällig für konvergente Evolution und damit eine Gefahr für meine Klassifikation. Man sollte in der Morphologie vielleicht aufhören Merkmale als einzelne Phänomene zu betrachten. Es wäre vielleicht besser zu versuche ob man nicht komplexere Strukturen finden kann, die wesentlich weniger anfällig für dieses lästige Homoplasieproblem sind.

Das alles bedeutet nicht, dass ich die Argumente von Herrn Sarmiento teile, aber ich kann seinen Standpunkt und seine Kritik sehr gut nachvollziehen und ich finde es sehr gut, dass jemand diese Punkte angemerkt hat. Ich hab nämlich sehr oft den Eindruck, dass ein Fossil, wenn es möglicherweise Biped war, automatisch in die Stammlinie zum Menschen gestellt wird ohne Fragen über seine tatsächliche phylogenetische Verwandtschaft zu stellen.
Ich vermute auch, dass der Vorwurf, den Samiento im ersten Absatz seines Artikels geäußert hat, dass White und Kollegen eine Form von Stufenleitermodell (Scala naturae) der Evolution des Menschen anwenden, in diesem Zusammenhang zu sehen ist.
Ich könnte jetzt noch eine ganze Ecke weiterer Argumente bringen, aber das Spar ich mir für nächste Woche, nachdem ich dieses Magisterarbeitsexposé fertig gestellt habe.

 Literatur:

Arnason, U. (2002). Mammalian mitogenomic relationships and the root of the eutherian tree Proceedings of the National Academy of Sciences, 99 (12), 8151-8156 DOI: 10.1073/pnas.102164299
Lee, M.S.Y. (1999). Molecular Phylogenies become functional Trends Ecol. Evol., 14, 177-178
Sarmiento, E. (2010). Comment on the Paleobiology and Classification of Ardipithecus ramidus Science, 328 (5982), 1105-1105 DOI: 10.1126/science.1184148
Schmitz J, Ohme M, Suryobroto B, & Zischler H (2002). The colugo (Cynocephalus variegatus, Dermoptera): the primates' gliding sister? Molecular biology and evolution, 19 (12), 2308-12 PMID: 12446821
White, T., Asfaw, B., Beyene, Y., Haile-Selassie, Y., Lovejoy, C., Suwa, G., & WoldeGabriel, G. (2009). Ardipithecus ramidus and the Paleobiology of Early Hominids Science, 326 (5949), 64-64 DOI: 10.1126/science.1175802
White, T., Suwa, G., & Lovejoy, C. (2010). Response to Comment on the Paleobiology and Classification of Ardipithecus ramidus Science, 328 (5982), 1105-1105 DOI: 10.1126/science.1185462