27.05.2010

Ging dem aufrechten Gang der Knöchelgang voraus?

ResearchBlogging.orgIch versuche momentan eine Idee, die ich vor ein paar Monaten beim Lesen dieses Artikels bekommen habe, in irgendeiner Form zu einem Magisterarbeitsthema verarbeiten zu können, damit ich vielleicht etwas leichter einen Betreuer dafür finde, als wenn ich die Personen einfach blind anschreibe.




Über den genauen Gedanken den ich habe, werde ich demnächst hier auch etwas schreiben. Heute möchte ich über ein verwandtes Thema schreiben, nämlich über die Frage, ob bei Gorillas und Schimpansen der Knöchelgang unabhängig voneinander entstanden ist.
In aller Regel wir davon ausgegangen, dass es einen so genannten „Knöchelgang-Komplex“, also einen Komplex von funktionspezifischen Merkmalen, in Hand und Handgelenk von Schimpansen und Gorillas gibt. Wenn es diesen Komplex tatsächlich gibt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sich sowohl beim Gorilla als auch beim Schimpansen an bestimmten Knochen die gleichen Merkmale finden lassen.


Handhaltung beim Knöchelgang (Henke, Rothe, 1994)




Wenn funktionale Merkmale für den Knöchelgang in einem Komplex evolvieren, so ist auch davon auszugehen, dass diese in einer statistischen Analyse untereinander höher korrelieren als wenn sie mit anderen, nicht mit dem Knöchelgang in Verbindung gebrachten Merkmalen, verknüpft werden.
Eine solche Analyse an Handgelenks und Fingerknochen wurde von Scott Williams (2010) durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass es zumindest in den untersuchten Strukturen, keinerlei Belege für einen Knöchelgangkomplex gibt.


Was ich ganz interessant an dem Artikel finde ist die Eingangshypothese von Williams:
Er behauptet, dass es, wenn es einen solchen Knöchelgangkomplex gibt, wahrscheinlicher ist, dass dieser mehrmals unabhängig entstanden sein kann.
Aus seinen Ergebnissen (es gibt keinen Komplex) folgerte er dann selbstverständlich, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Knöchelgang nur einmal, nämlich vor der Trennung der Linien von Gorilla und Schimpanse/Mensch entstanden ist. Das bedeutet, dass auch die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Bipedie in einem Zusammenhang mit einem auf Knöcheln gehenden gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse zu stellen ist.


Ich finde diese Schlussfolgerung allerdings etwas problematisch. Zum einen finde ich seine Annahme, dass das Vorhandensein eines funktionalen Komplexes für eine unabhängige Evolution des Knöchelgangs spricht etwas merkwürdig. Zuvor habe ich immer gedacht, dass  ein Merkmal eher dann „homolog“ sind, wenn aus den gleichen Strukturen entstanden sind, so hab ich das zumindest gelernt. Wenn ich jetzt also einen Komplex an Merkmalen, bei nah verwandten Arten, finde die mit dem Knöchelgang in Verbindung gebracht werden, so ist doch davon auszugehen, dass diese Merkmale bei der einmaligen Evolution des Knöchelganges entstanden sind. Im Gegenzug würde das Fehlen eines solchen Komplexes, doch eher dafür sprechen, dass das Merkmal „Knöchelgang“ zwar in seiner Funktion gleich, aber in seinen Strukturen unterschiedlich, also „analog“ ist und somit unabhängig voneinander entstanden ist.


Es gibt noch weitere Punkte die, meiner Meinung nach, gegen Williams Schlussfolgerungen sprechen könnten:
So unterscheiden sich Gorilla und Schimpanse recht stark in der Art und Weise wie sie ihre Hände beim Knöchelgang einsetzen. Gorillas strecken beim Knöchelgang ihren Arm und ihr Handgelenk durch und ihre Handflächen sind nach hinten gerichtet. Schimpansen dagegen winkeln ihre Handgelenke etwas an und setzen in aller Regel ihre Hände mit den Handflächen nach innen auf.
Druckplattenexperimte mit Schimpansen (Wunderlich, Jungers, 2009) haben gezeigt, dass Schimpansen beim Knöchelgang ihre Finger nacheinander (zuerst den kleinen Finger, zuletzt den Zeigefinger) aufsetzen, wenn sie die Handflächen nach innen gerichtet haben und alle Finger gleichzeitig, wenn sie die Handflächen nach hinten gerichtet haben. Die Hauptlast liegt hierbei jeweils auf dem 3. Finger, also dem Mittelfinger, ansonsten ist die Lastverteilung bei beiden Handpositionen unterschiedlich. Leider gibt es keine Studie die mit Gorillas durchgeführt wurde, doch ist davon auszugehen, dass auch bei Gorillas die Hand eher komplett aufgesetzt wird, wenn die Handflächen nach hinten gerichtet sind. In dieser Hinsicht ist es auch nicht überraschend, dass Merkmale, die man immer mit dem Knöchelgang in Verbindung gebracht hat, nicht konsequent bei allen Menschenaffen zu finden sind und das auch Ontogenetische Daten eher gegen einen gemeinsamen Ursprung des Knöchelgangs sprechen (Kivell, Schmitt, 2009).
Selbstverständlich können diese Unterschiede, wie Williams (2010) ebenso anmerkt, erst nach der Trennung der Linien von Gorilla und Schimpanse/Mensch entstanden sein, deshalb wäre es vielleicht ganz interessant mal zu sehen, welche dieser Merkmale mit dem höheren Körpergewicht und der damit höheren Belastung der Handgelenke beim Gorilla zu erklären sind.


Wie man sehen kann ist das Bild ziemlich diffus, wenn sie die beiden Arten ansieht. Das Problem ist nämlich, dass wir beim Entstehen der Merkmale nicht dabei waren, wir also nur retrospektiv erkennen könne, ob ein Merkmal einmal, oder zweimal entstanden ist.
An dieser Stelle wird sehr häufig dann der Satz gesagt:“ Neue Fossilien aus (beliebige Zeitperiode einfügen) werden helfen, dieses Problem zu lösen.“


Da schöne an dieser Sache ist, wir müssen dieses Satz nicht sagen, denn wir haben ja Ardipithecus ramidus!

Nur zur Erinnerung: Im letzten Oktober wurde eine ganze Reihe von Knochen und Funden von Ardipithecus ramidus vorgestellt unter anderem auch eine doch ziemlich komplette Hand, inklusive Handgelenksknochen.
Die Morphologie der Hand von Ardipithecus ist sehr ursprünglich, d.h. sie ähnelt stark der von frühen Menschenaffen (z.B. Proconsul). Diese frühen Menschenaffen bewegten sich nicht wie rezenten Menschenaffen suspensorisch, also unterhalb der Äste hängend bzw. Hangelnd, fort sondern liefen auf den Ästen und umfassten dabei die Äste mit ihren Händen.



Os capitatum (Kopfbein) von Schimpanse, Ardipithecus ramidus und Mensch (Lovejoy et al., 2009)

Zudem fanden sich keinerlei Merkmale, die man in irgendeiner Form mit Knöchelgang in Verbindung bringt bei Ardipithecus. Nun gut, man kann jetzt einwerfen, dass Ardipithecus ja auch auf zwei Beinen lief und daher keinen Knöchelgang mehr gebraucht hat. Aber warum dann noch diese ursprüngliche Handmorphologie? Zudem ähnelt diese Handmorphologie wesentlich eher der unsrigen, als die Morphologie der Hände von Gorilla und Schimpanse. Natürlich könnte der Weg auch von einem generalisierten Menschenaffen, über eine suspensorische, eine suspensorisch knöchelgehende hin zu einer am Boden aufrecht gehend/auf den Bäumen Palmigrad-gehende Form gegangen sein. Aber wie wahrscheinlich ist das?
Die Alternative wäre, dass alle Formen aus einer eher generalisierten Form entstanden sind und ihre Merkmale unabhängig voneinander erworben haben. Gestützt wird diese Annahme, durch die Tatsache, dass Menschenaffen im Miozän (20-5 Mio. Jahre) sehr weit verbreitet waren und eine enorm hohe Diversität, vor allem bei den Lokomotionsformen, aufwiesen.
Interessanterweise wird der Artikel von Lovejoy und Kollegen zwar von Williams zitiert, doch geht er nicht wirklich auf die dort präsentierten Argumente ein.


Diese Geschichte zeigt, so denke ich, ganz gut, warum man sich nicht komplett auf Studien an rezentem Material verlassen sollte.
Selbstverständlich liefern sie uns wichtige Anhaltspunkte über die Art und Weise wie Merkmale und bestimmte Strukturen aufgebaut sind, doch liefern sie nur sehr grobe Vorbilder für die Vergangenheit ab. Und wie ich bereits sagte, häufig wird nach Fossilien geschrien die uns helfen Fragen nach der Homologie oder Analogie bestimmter Merkmale zu beantworten. Ich denke, wenn man mal das Glück hat eins zu haben und solange sich an der Interpretation dieser Überreste nichts ändert, ist davon auszugehen, dass es wahrscheinlicher war, dass der Knöchelgang beim Schimpanse und Gorilla unabhängig voneinander entstanden ist.


Das führt natürlich auch dazu, dass der Aufrechte Gang nicht im Zusammenhang mit einem Knöchelgehendem Vorfahren zu sehen ist, sondern anders erklärt werden müsste.


Darauf werde ich demnächst mal eingehen.


P.S.: Wenn irgendjemand Zugang zum "Journal of Zoology" hat und mir folgenden Artikel schicken kann (Email: edgarneubauer[at]gmx.de)  wäre ich sehr glücklich.

Larson, S. G., Stern, J. T. (2009). EMG of chimpanzee shoulder muscles during knuckle-walking: problems of terrestrial locomotion in a suspensory adapted primate. Journal of Zoology, 212 (4). S. 629-655.


Literatur:


Henke, W., Rothe, H. (1994) Paläoanthropologie. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
Kivell, T., Schmitt, D. (2009). Independent evolution of knuckle-walking in African apes shows that humans did not evolve from a knuckle-walking ancestor Proceedings of the National Academy of Sciences, 106 (34), 14241-14246 DOI: 10.1073/pnas.0901280106
Lovejoy, C., Simpson, S., White, T., Asfaw, B., Suwa, G. (2009). Careful Climbing in the Miocene: The Forelimbs of Ardipithecus ramidus and Humans Are Primitive Science, 326 (5949), 70-70 DOI:
10.1126/science.1175827
Williams, S. (2010). Morphological integration and the evolution of knuckle-walking Journal of Human Evolution, 58 (5), 432-440 DOI: 10.1016/j.jhevol.2010.03.005
Wunderlich, R., Jungers, W. (2009). Manual digital pressures during knuckle-walking in chimpanzees American Journal of Physical Anthropology, 139 (3), 394-403 DOI: 10.1002/ajpa.20994


Blogartikel zu diesem Thema:

Did knuckle-walking evolved twice?
The Hands of Ardipithecus ramidus
The general ape-body-plan
So-did-knuckle-walking-evolve-twice?