06.05.2010

Warum wir (Halb-)Marathon laufen können.

ResearchBlogging.org
Da ich diesen Sonntag wieder einmal Halbmarathon laufen werde (es ist das vierte Mal für mich), möchte ich aus aktuellem Anlasse mal eines meiner Lieblingsmodelle aus der Paläoanthropologie darstellen:



Der Allgemeine Tenor, wenn es um die körperlichen Fähigkeiten des Menschen geht ist ja der, dass er im Grunde genommen nichts kann. In aller Regel sind die meisten Tiere schneller, stärker und haben obendrein auch noch natürliche Waffen in Form von Zähnen oder Krallen.
Der Mensch ist, aus dieser Sicht betrachtet, ein nackter, schwächlicher Affe, der Glück hat, das er relativ intelligent ist, weil er ansonsten von anderen Tieren aufgefressen wird.


In vielen Punkten mag das ja stimmen, aber nicht in allen.
Zwar ist der Mensch im Sprint wesentlich langsamer als die meisten anderen Tiere und auch kann er dieses Tempo nicht sehr lange durchhalten. Das maximale Tempo, dass ein Mensch im Sprint erreichen kann sind ca. 10m/s und das auch nur für knappe 15 Sekunden, bestimmte Antilopen hingegen schaffen es ein Tempo von 15-20 m/s über mehrere Minuten zu halten. Außerdem Rennen für den Menschen energetisch nicht wirklich günstig, es kostet ungefähr doppelt so viel Energie wie bei einem anderem Tier mit vergleichbarer Körpermasse.
Bei Strecken die länger sind als zwei Kilometer, beginnt sich dieses Verhältnis jedoch zu ändern. Was das Laufen langer Strecken in relativ hohem Tempo angeht, sind die Fähigkeiten des Menschen mit denen von Wölfen, Hyänen und Wildhunden vergleichbar.
Außerdem ist das Laufen beim Menschen energetisch insgesamt zwar teuerer als bei anderen Tieren aber dafür ist der Mensch in der Lage eine wesentlich größere Bandbreite an Geschwindigkeiten zu laufen ohne das dabei der Energieverbrauch steigt, wie auch folgende Abbildung zeigt:




Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Energieverbrauch bei unterschiedlichen Fortbeweungsarten (Gehen, Trab,  leichter Galopp) für Mensch (durchgezogene Linie) und Pferd (gestrichelte Linie) (Aus: Carrier, 1984).




Es gibt mehrere Merkmale am Menschlichen Körper, die für dieses günstige Verhältnis zuständig sind:

Zum einen gibt es in den Beinen Strukturen die beim Laufen die Energie die beim Auftreten des auf den Boden entstehen Speichern und beim Abdrücken, ähnlich einer Sprungfeder, wieder abgeben können. Das ist beispielsweise die Achillessehne aber auch das Fußgewölbe. Außerdem wird beim Menschen ein höheres Tempo in zunächst durch eine höhere Schrittlänge bestimmt und nicht durch eine höhere Schrittfrequenz, dies wird vor allem durch die langen, flexiblen Beine bewerkstelligt die wir haben (Bramble, Lieberman; 2004).
Bei solchen Merkmalen, die in erster Linie keine Nebenprodukte des aufrechten Ganges sind, stellt sich natürlich die Frage nach deren evolutionärem Ursprung.


Lieberman und Kollegen (2009) haben ein Modell entwickelt bei der die Evolution der Anpassungen an das Ausdauerlaufen vor allem mit den Anforderungen der Savanne und der Suche nach Kadavern bzw. der Jagd nach Tieren erklärt wird.
Um Konkurrenz mit anderen großen Raubtieren (Löwen, Hyänen) zu vermeiden, die hauptsächlich in der Dämmerung bzw. Nacht aktiv sind, blieb im Grunde genommen nur der Tag übrig um auf die Suche nach Fleisch zu gehen, sei es jetzt in Form von aktiv erlegter Beute oder in Form von Aas. Um jedoch am Tag größere Strecken zurücklegen zu können, war zusätzlich zu einer hohen Ausdauer auch noch die Fähigkeit nötig die Körpertemperatur niedrig zu halten. Dies wird beim Menschen über das Ausscheiden von Schweiß geregelt, der auf der haarlosen Haut ziemlich schnell verdunsten kann. Durch das Schwitzen kommen allerdings noch ein paar Nachteile hinzu auf die ich später zu sprechen komme.
Bei der Suche nach Aas kann eine größere Ausdauer von Vorteil sein, da man ein größeres Gebiet durchstreifen kann und so die Wahrscheinlichkeit erhöht einen noch unentdeckten Kadaver zu finden.


Wie sieht es aber bei der Jagd aus?
Tatsächlich ist der Mensch in der Lage Tiere zu Tode zu hetzen. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die meisten anderen Tiere ihre Körpertemperatur während körperlicher Anstrengung nur schlecht regulieren können, da diese dafür hecheln müssen. Da man die Atemfrequenz in aller Regel jedoch nicht unabhängig von der Lauf bzw. Pulsfrequenz erhöhen bzw. erniedrigen kann bedeutet das, dass Tiere nur in hecheln können wenn sie inaktiv sind. Menschen nutzen diesen Zusammenhang aus in dem sie einmal geflohene Tiere immer wieder aufscheuchen, bis diese aufgrund einer zu hohen Körpertemperatur kollabieren.


Der Jagdaspekt könnte, auch eine gewisse Rolle bei der Entwicklung menschlicher Intelligenz gespielt haben, denn um eine solche form der Jagd durchführen zu können muss man koordiniert und planvoll vorgehen (wer scheucht auf, wer verfolgt das Tier etc.) außerdem muss man in der Lage sein das Tier was man jagen will immer wieder aufzuspüren, dass heißt man muss Spuren lesen können.


Beide Verhaltensweisen sind durch ethnologische Beobachtungen beim modernen Menschen belegt, die Frage die sich stellt ist, sind wir in der Lage verlässliche Aussagen darüber treffen zu können, inwiefern frühere Menschenformen an Ausdauerlaufen angepasst waren bzw. ob die Anpassungen ans Ausdauerlaufen wie wir es bei uns sehen können als Reaktion an die oben geschilderten Anforderungen (Jagd/Kadaversuche) entstanden sind.
Wie meist bei Paläoanthropologischen Modellen, lassen sich nur einzelne Aspekte der Modelle tatsächlich an Fossilien überprüfen. Sowohl die Ausstattung an Schweißdrüsen als auch der Grad der Körperbehaarung lassen sich überhaupt nicht überprüfen, da sich diese Merkmale nicht an Fossilien finden lassen. Was man feststellen kann ist die Art und Weise wieder Muskel und Sehnenapparat an den Beinen aufgebaut war und wie die Allgemeine Körperform war. Findet man hier parallelen zu der Merkmalskonfiguration des modernen Menschen so kann davon ausgehen, dass diese früheren Formen bis zu einem gewissen Grad, zu ähnlichen körperlichen Leistungen in der Lage waren wie wir es heutzutage sind.
Die Autoren der unten zitierten Studien gehen davon aus, dass schon Homo erectus zu Ausdauerlaufen in der Lage war.


Das ganze vorgestellte Modell hat jedoch einen Schwachpunkt. Menschen sind nur dann in der Lage bei hohen Temperaturen lange Strecken zurück zu legen, wenn sie genügend Wasser und Salz zur Verfügung haben. Wie wichtig die Wasserversorgung ist sieht man bei Langstreckenläufen wo alle 3-5 km Getränkestände aufgestellt sind und die meisten Läufer deshalb aufgeben müssen, weil sie irgendwann dehydrieren. Wenn wir davon ausgehen, dass Homo erectus in der Lage war Hetzjagden auf größere Tiere durchzuführen, so müsste er auch schon in der Lage sein Speichergefäße für Wasser zu besitzen. Auch das ist ein Aspekt der sich schwer bis gar nicht nachweisen lässt.
Was man jedoch festhalten sollte ist folgendes: Der moderne Mensch besitzt die lange Strecken in einem recht hohen Tempo zurückzulegen, eine Fähigkeit die ihn unter Primaten einzigartig macht und unter Tieren im Allgemeinen zu einem sehr seltenen Fall. Und davon ausgehend, dass alle Merkmale des modernen Menschen das Produkt eines evolutionären Anpassungsprozesses sind, so ist es die Aufgabe der Anthropologie auch nach Modellen und Erklärungen für dieses Phänomen zu suchen, auch wenn diese, von einem wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus, manchmal nur schwer zu akzeptieren sind.


Warum auch immer der Mensch diese Fähigkeit erworben hat, heutzutage wird das Laufen nahezu ausschließlich als Freizeitaufgabe wahrgenommen, moderne Errungenschaften haben es scheinbar unnötig gemacht. Und da wir diese wunderbare Fähigkeit noch besitzen, wäre es doch eine Schande wenn wir sie nicht pflegen würden.
Und genau das habe ich diesen Sonntag vor und wenn mich nicht der Nachteil unseres Thermoregulationsprozesses erwischt oder Savannenartige Temperaturen herrschen, wird es sogar Spaß machen.



Literatur:
Bramble DM, Lieberman DE (2004). Endurance running and the evolution of Homo. Nature, 432 (7015), 345-52 PMID: 15549097
Carrier, D.R. (1984). The energetic Paradox of Human running and Human evolution Current Anthropology, 25 (4), 483-495
Lieberman, D.E., Bramble, D.M., Raichlen, D.A., Shea, J.J. (2009). Brains, Brawns and the Evolution of Human Endurance running capabilities. In: Grine, F.E., Fleagle, J.G., Leakey, R.E. (eds.). The first humans. Origin and early evolution of the Genus Homo. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York. S. 77-93.