09.03.2009

Das Problem der "missing links" (Teil I)

Betrachtet man die Evolution des Menschen, hat man immer mit einem großen Problem zu kämpfen, dies ist jedoch nicht methodischer oder theoretischer Natur, es ist der Mensch selbst.
Die Frage nach der eigenen Herkunft ist und war schon immer wichtiger als die Frage nach der Herkunft der Zecke die am Bein hängt oder der Spinne die in der Zimmerecke haust.

Ich will diese Tatsache an sich jetzt auch nicht negativ bewerten, schließlich habe ich mich unter anderem auch aus diesem Grunde für die Anthropologie entschieden.
Problematisch wird diese Wertschätzung jedoch wenn es darum geht ordentlich Wissenschaft betreiben zu können.

Ein wichtiger Punkt nehmen hierbei die sog. "missing links" ein, also die ersten Vertreter der Hominiden nach der Abspaltung der Schimpansenlinie. Oder etwas plakativer, das Verbindungsstück zwischen Affe und Mensch.

Durch molekulare Untersuchungen hat konnte man errechnen, dass sich die Linien von Mensch und Schimpanse vor 5-9 Millionen Jahren getrennt haben, dass heißt, wenn man in diesem Zeitraum Grabungen durchführt, könnte man auf ein Wesen treffen, was in vielen Eigenschaften noch dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse gleicht und in ein paar wenigen Eigenschaften bereits hominide Züge hat.

Und in der Tat hat man solche Fossilien gefunden, bzw. man hat Fossilien gefunden.

Michel Brunet, ein französischer Paläoanthropologe, der schon längerer Zeit im Tschad Grabungen durchführt, hat einen Schädel gefunden, welcher den Namen Sahelanthropus tchadensis bekam. Dieser Schädel ist an sich wirklich spannend, vor allem die großen Überaugenwülste sind hier zu erwähnen.

Brunet hat unter anderem aufgrund der Überaugenwülste die Hypothese aufgestellt, dass der Schädel einem männlichen Individuum gehörte.

Bei Affen gibt es häufig einen Sexualdimorphismus, d.h. die Männchen und Weibchen sehen haben eine unterschiedliche Morphologie (der Mensch hat diesen auch, allerdings ist er sehr reduziert) und große Überaugenwülste sind oftmals ein Zeichen für männliche Individuen.

Jedenfalls wurde aufgrund der Aussage, dass das Individuum männlich ist, die Schlussfolgerung gezogen, dass andere Eigenschaften (Größe von Zähnen und anderen Dinge) zu schwach ausgeprägt sind um noch als Affenähnlich zu gelten, also ist der Schädel hominin.

Doch ist der Schädel wirklich männlich? Wir sehen ja schon beim Menschen, dass jedes Individuum anders aussieht, das heißt es variiert in der Ausprägung bestimmter morphologischer Eigenschaften. Kann ich also aufgrund eines Fundes einer Art dessen Merkmalsvarianz ich nicht kenne, das Geschlecht sicher bestimmen?
Normalerweise kann man das nicht. Zumindest nicht mit so großer Sicherheit um aus dieser Aussage weitere Hypothesen ableiten zu können.

Trotzdem wurde es getan.

Eine weitere Aussage die getroffen wurde war, dass Sahelanthropus aufrecht ging. Diese Aussage wurde aufgrund der Position des Foramen magnun (der Austrittstelle des Rückenmarks) getroffen. Die Annahme dahinter ist, dass je weiter dieses unterhalb des Hirnschädels liegt, desto eher spräche dies für einen aufrechten Gang. Problematisch ist nur, dass zum Beispiel Totenkopfäffchen ein zentraleres Foramen magnum als wir haben, doch gehen sie nicht aufrechter als wir, sondern auf vier Beinen.
Für diese Annahme spricht, dass alle späteren hominden ein nach vorne geschobenes Foramen magnun besitzen und aufrecht gehen.
Aber kann ich mit großer Sicherheit sagen, dass ein Individuum aufrecht ging, wenn ich keinerlei Becken, Fuß oder Oberschenkelknochen habe? An sich nicht.

Trotzdem wurde es getan.

All das was ich eben geschildert habe, wurde auch kritisiert. Daraus entwickelte sich ein Dialog welcher, auch auf persönlicher Ebene, nicht mit wenig Schärfe geführt wurde. Die Gegenseite wurde von einer Gruppe Wissenschaftler gebildet, welche ein etwas jüngeres Fossil gefunden haben. Diese Gruppe kam zu dem Ergebnis, dass man es mit Sahelanthropus möglicherweise mit einem frühen Gorilla zu tun hätte (zumindest sind die Überaugenbögen in dessen Variationsspektrum).
Aber auch hier stelle ich mir die Frage, ob man aus einem Schädel all dies ableiten kann.

Nur warum wird nicht, ganz nüchtern, gesagt: "Wir können momentan noch nicht viel aussagen, die Tendenzen gehen in folgende Richtung, aber man muss schauen das wir mehr Fossilien finden."? Oder wieso halte ich mich mit einer Publikation nicht so lange zurück, bis ich was Sicheres sagen kann?

Das hat mit dem öffentlichen Prestige zu tun, was man erhält wenn man das "missing link" findet. Die ganzen Publikationen zu diesem Fall wurden in "Nature" veröffentlicht. Und für viele Wissenschaftler ist eine Naturepublikation etwas ganz großartiges.
Ich habe manchmal den Eindruck, die Qualität der Aussage einer Person hängt davon ab, wie viel er in welchen Zeitschriften publiziert hat und nicht wie gut er seine Hypothesen unterstützen kann.

Statt, dass man also diesen gesamten Komplex ganz neutral betrachtet und sich fragt, wie gut meine Aussagen zu belegen sind, schmeiße ich eine Reihe kaum unterstützter Hypothesen in den Raum. Dies wurde, meiner Meinung nach, in diesem Falle von beiden Seiten (die eine jedoch etwas mehr als die andere) getan.

Es ist immer schwierig sich vor Augen zu führen, dass es in der Wissenschaft eben NICHT um persönliches Prestige geht, sondern um Erkenntnisgewinn und dabei ist es vollkommen unerheblich welchen Anteil der einzelne dabei hat. Die Öffentlichkeit sieht das natürlich anders und die meisten Wissenschaftler auch.
Ich will mich auch nicht von solchen Tendenzen freimachen, doch wichtig ist es, so denke ich, sich immer wieder selber kritisch zu überprüfen, ob man nun Dinge aus privatem Ehrgeiz behauptet, oder weil man tatsächliche Belege dazu hat.



Literatur:
Brunet M at al (2002): A new hominid from the upper Miocene of Chad, Centralm Africa. Nature Vol 418, 145-151.
Wolpoff et al (2006): an Ape or the Ape: Is the Toumai Cranium really a hominid? Paleoanthropology 2006, 36-50.