31.01.2011

Der aufrechte Gang bei Menschenaffen: Was man von Ambam lernen kann.

Ich bin ja irgendwo immer ein wenig uninformiert, aber scheinbar scheint sich das Video eines Zweibeinig gehenden Gorillas momentan im Internet einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen. Jedenfalls entnehme ich dies aus diesem Blogpost und der Tatsache, dass mir vor zwei Tagen mein Vater eine Email mit folgendem Video geschickt hat.








Oberflächlich sieht man hier zunächst einen biped laufenden Gorilla, aber dieser bipede Gang hat ziemlich wenig mit dem aufrechten Gang von uns zu tun. Um meinen Punkt etwas besser zu verdeutlichen hier ein Bild was man nach etwa 14 Sekunden sehen kann:


Ambam in Aktion, man beachte den nach vorne geneigten Oberkörper


Wie man hier sehr schön sehen kann, ist der Oberkörper von „Ambam“ (so heißt der Gorilla) recht stark nach vorne gebeugt. Dies hat nicht etwa mit irgendeinem Haltungsschaden zu tun, sondern damit, dass Gorillas (wie Schimpansen und Orang-Utans) nicht in der Lage sind ihr Becken komplett zu strecken. Warum sie dazu nicht in der Lage sind, hat mit dem Aufbau ihres Beckens und ihrer Lendenwirbelsäule zu tun.
Unsere Wirbelsäule hat, wenn wir uns aufrichten eine doppelte Krümmung, man spricht hierbei auch von einer „Doppel S“ bzw. „doppelt sigmoidalen“ (wenn man sich etwas gestelzt ausdrücken will) Krümmung, wie auf folgendem Bild zu erkennen ist:

Unterschiede in der Morphologie der Wirbelsäule beim Schimpansen und dem Menschen. (Henke & Rothe, 1999)

Wichtig ist in diesem Bild die Lendenwirbelsäule, also der Teil der Wirbelsäule der direkt über dem Becken liegt um dann in das Kreuzbein überzugehen. Wie man sehen kann, macht dieser Teil beim Menschen eine Krümmung zur Bauchseite hin. Diese Biegung ist möglich, weil sich die Lendenwirbel frei bewegen können. Durch die Biegung wird bewerkstelligt, dass unser Körperschwerpunkt (der etwas oberhalb des 2. Lendenwirbels liegt) beim aufrichten über das Becken zu verlagert wird.
Die Lendenwirbelsäule der großen Menschenaffen ist hingegen zu einer solchen Krümmung nicht in der Lage. Dies liegt daran, dass die „Schaufeln“ des Beckens bei den großen Menschenaffen viel länger sind als beim Menschen und die unteren Lendenwirbel „einklemmen“. Zusätzlich ist die Lendenwirbelsäule bei den großen Menschenaffen noch verkürzt, d.h. sie besteht aus weniger Wirbeln als beim Menschen. Diese spezielle Struktur der Lendenwirbelsäule bei den großen Menschenaffen hat mit deren Fortbewegungsweise in den Bäumen zu tun, wer genaueres dazu wissen will, dem sei folgender Post bei „A Primate of modern Aspect“ ans Herz gelegt, dort wird das wunderbar erklärt.
Morphologie des Torsos bei Mensch und Schimpanse (Aiello & Dean, 1990)


Man kann in dem Video noch weitere Unterschiede sehen, zum Beispiel das Ambam relativ stark nach links und rechts schwankt wenn er läuft. Dies hat zum einen mit dem etwas weiter vorne liegenden Schwerpunkt zu tun (er kann ja seinen Körper nicht komplett strecken) und zum anderen damit, dass er keine „physiologische X-Bein Stellung hat“. Beim Menschen sind die Oberschenkel so ausgerichtet, dass die Lotlinie nah an der Körpermitte liegt. Dies führt dazu, dass der Schwerpunkt beim gehen nur sehr wenig zur Seite ausgelenkt wird.
Dieses Merkmal fehlt bei den großen Menschenaffen und daher wird bei ihnen der Schwerpunkt viel stärker nach außen verlagert, wenn sie auf zwei Beinen gehen. Auch hier hat die unterschiedliche Ausrichtung der Oberschenkelknochen bei den großen Menschenaffen mit deren Lebens- und Fortbewegungsweise zu tun, so sind deren untere Extremitäten vie besser auf vertikales Klettern ausgelegt als unsere, sowohl was ihre relative Länge zur oberen Extremität, als auch was den Verlauf und den Aufbau der Muskulatur angeht.


Unterschiede in der Ausrichtung des Oberschenkelknochens bei Mensch und Schimpanse (Henke & Rothe, 1999)


Die Frage ist jetzt, ob die Bipedie von großen Menschenaffen uns in irgendeiner Form weiterhilft, wenn es um darum geht herauszufinden wie die menschliche Form der Bipedie entstanden ist, und ob wir sie als Modell für den aufrechten Gang der frühsten Hominiden benutzen können.
An dieser Stelle müssen wir extrem vorsichtig sein. Es ist nämlich ziemlich gefährlich Beobachtungen an rezenten Arten einfach in die Vergangenheit zu projizieren, denn schließlich haben wir keine Ahnung wie unsere Vorfahren tatsächlich herumgelaufen sind und wie genau die erste terrestrische Bipedie aussah. Einer meiner Professoren zitiert an Stellen wie diesen immer Robert Foley, der (irgendwo) sagte: „The past is a foreign coutnry, they did things differently there“.


Bislang deuten viele Informationen die wir haben darauf hin, dass die Ähnlichkeiten die wir im Skelett und in der Lokomotion von Gorillas und Schimpansen finden unabhängig voneinander entstanden sind. Gerade was die Morphologie des Beckens und der Lendenwirbelsäule angeht, finden wir auch bei Fossilen Arten Anzeichen dafür, dass die Bipedie der frühsten Hominiden nur recht wenig mit der, heutiger Gorillas und Schimpansen zu tun hatte. So lassen sich bei Ardipithecus ramidus Anzeichen finden, dass er über eine flexible Lendenwirbelsäule verfügte und im Laufe seiner Stammesgeschichte wohl nicht durch ein Stadium eines Schimpansen bzw. Gorilla ähnlichen „Fortbewegungsmodus“ gegangen ist (Lovejoy et al., 2009, Lovejoy & McCollum, 2010). Auch beim nächst, älterem bekannten Becken eines miozänen Menschenaffen, dem von Oreopithecus bambolii (einer Form die in der Toskana, bzw. auf Sardinien gefunden wurde) finden sich Anzeichen für ein flaches Becken mit einer niedrigen Lendenwirbelsäule (Köhler & Moya Sola 1997, Rooks et al., 1999).
Natürlich gibt es bei beiden Fossilien wieder einige Probleme was die Sicherheit dieser Informationen angeht, aber letztendlich liegt dies ja auch in der Natur von Wissenschaften im Allgemeinen.
Wir werden niemals genau wissen, wie ein bestimmtes Phänomen zustande kommt und das gilt besonders für die Evolutionsbiologie, wo wir Dinge nur in der Retrospektive betrachten können. Alles was wir tun können ist aus den Informationen die wir haben uns möglichst plausible Modelle zu bilden, wohl wissend das diese innerhalb kurzer Zeit komplett ihren Wert verlieren können. Wir werden niemals genau wissen wie das alles abgelaufen ist, aber wir können versuchen uns dieser Wahrheit Stück für Stück zu nähern und mit jedem Schritt etwas Neues zu lernen


In diesem Zusammenhang, kann der gute Ambam ganz interessant sein. Es wäre vielleicht ganz schön zu wissen, wie oft er tatsächlich aufrecht steht bzw. geht. Auch die Frage, ob er dieses Verhalten in irgendeiner Form (sei es genetisch oder kulturell) „geerbt“ hat ist ganz interessant und gerade in diesem Zusammenhang wäre es interessant zu sehen inwiefern sein Skelett ihn tatsächlich dazu befähigt effektiver auf zwei Beinen zu gehen als seine Artgenossen.




Literatur:


Aiello, L. & Dean, C. (1990). An introduction to human evolutionary Anatomy. Elsevier Academic Press, New York.
Henke, W. & Rothe, H. (1999) Stammesgeschichte des Menschen. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York.
Köhler M, & Moyà-Solà S (1997). Ape-like or hominid-like? The positional behavior of Oreopithecus bambolii reconsidered. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 94 (21), 11747-50 PMID:
9326682
Lovejoy, C., & McCollum, M. (2010). Spinopelvic pathways to bipedality: why no hominids ever relied on a bent-hip-bent-knee gait Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 365 (1556), 3289-3299 DOI: 10.1098/rstb.2010.0112
Lovejoy, C., Suwa, G., Spurlock, L., Asfaw, B., & White, T. (2009). The Pelvis and Femur of Ardipithecus ramidus: The Emergence of Upright Walking Science, 326 (5949), 71-71 DOI: 10.1126/science.1175831
Rook L, Bondioli L, Köhler M, Moyà-Solà S, & Macchiarelli R (1999). Oreopithecus was a bipedal ape after all: evidence from the iliac cancellous architecture. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 96 (15), 8795-9 PMID: 10411955