01.09.2009

Die deutsche Anthropologie und ihr Theoriedefizit

Wie schon angekündigt, habe ich mich in den letzten Tagen etwas näher mit dem Aufsatz von Christian Vogel "Biologische Perspektiven der Anthropologie: Gedanken zum sog. Theoriedefizit der biologischen Anthropologie in Deutschland" auseinandergesetzt.


Christian Vogel kritisiert in diesem Aufsatz, dass die deutsche Anthropologie, sie seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert, die Evolutionstheorie nur sehr zögerlich in ihre Definition einfließen lässt. Zwar verwiesen Anthropologen bei der Definition ihres Faches schon immer auf die Evolutionstheorie, doch waren diese Verweise immer so schwammig und weit gefasst, dass noch ein enormer Raum für typologische und narrative Elemente blieb.
Christian Vogel sieht in diesem losen Umgang mit der Evolutionstheorie einen Hauptgrund für die ideologischen Auswüchse des frühen 20. Jahrhunderts, von denen der Sozialdarwinismus sicher das prominenteste Beispiel ist.


An diesem losen Umgang hat sich bis zu dem Zeitpunkt an dem Vogel den Aufsatz schrieb (1982) nicht wirklich etwas geändert, noch immer waren typologische und deskriptive Elemente Hauptbestandteile der Anthropologie. Zwar seien die Analysemethoden wesentlich ausgereifter, doch die theoretische Grundlage würde noch immer fehlen.
In diesem Zusammenhang kommt Vogel dann auf die Soziobiologie zu sprechen, jenem Zweig der Biologie welche versucht das Verhalten von Organismen aus einer evolutionsbiologischen Perspektive zu betrachten, was selbstverständlich auch den Menschen miteinschließt. Doch auch dieser Zug fuhr (zunächst) an der Anthropologie vorbei.
Letztendlich fordert Christian Vogel, dass sich die deutsche Anthropologie sich diesen Herausforderungen Stellen muss um nicht erneut ein Vakuum für Ideologien zu bilden. Hierzu müsste überprüft werden, wie stark sich die Prinzipien der Soziobiologie in die einzelnen Felder der Anthropologie (Prähist. Anthropologie, Demographie, Populationsgenetik, Humanökologie) tragen lassen.


Soviel also zum Inhalt. Doch was hat sich in den letzten 27 Jahren getan?
Ein Blick auf das Tagungsprogramm der GfA zeigt, dass sich auf den ersten Blick nicht wirklich viel passiert ist: Ein Großteil der vorgestellten Arbeiten scheinen deskriptiver Natur zu sein. Das Wort "Evolutionstheorie" kommt so gut wie garnicht vor, dafür aber jede Menge Einzelfallstudien.
Die Soziobiologie hat in Deutschland zwar Fuß gefasst, dank der Arbeit Christan Vogels (der leider mittlerweile verstorben ist), aber auch dank Eckhart Voland. Doch, wie es mit dem einfließen der Soziobiologie, oder etwas weiter gefasst, mit der Evolutionstheorie in die Felder der Anthropologie steht, mag ich nicht beurteilen.
Auf dem ersten Blick scheint es jedenfalls so zu sein, dass sich nicht wirklich etwas Grundlegendes geändert hat. Jedoch fehlt es mir, um dies abschließend beurteilen zu können an Wissen. Vielleicht wurde ja versucht diese Prinzipien in die Felder hineinzutragen und die Leute sind gescheitert? Oder vielleicht haben sie keine Möglichkeiten die nötigen Untersuchungen durchzuführen und sind quasi dazu verdammt Wissenschaft auf einem niedrigerem Niveau betreiben zu müssen. Natürlich kann es auch sein, dass viele der bei der Tagung vorgestellten Themen garnicht so schlimm sind, wie es die Titel vermuten lassen.


Dies sind die Fragen die ich mir stelle und diese Fragen sind der Grund warum ich nach München fahren werde. Ich hoffe sehr, dass ich mich in meinen Annahmen täusche, jedoch habe ich große Zweifel, dass dies tatsächlich passieren wird.


Soviel für diese Woche. Nächste Woche setze ich mich etwas mit der Prähistorischen Anthropologie auseinander, weil ein Großteil der vorgestellten Themen aus diesem Felde kommt. Hierzu werde ich einige Kapitel aus dem Standardlehrbuch für dieses Fach ("Prähistorische Anthropologie" von Bernd Hermann und Kollegen) lesen. Vor allem das Schlusskapitel in dem sich die Autoren den theoretischen Grundlagen ihres Faches auseinandersetzen.


Alles Gute.




Literatur:
Vogel, C. 1982. Biologische Perspektiven der Anthropologie: Gedanken zum
sog. Theorie-Defizit der biologischen Anthropologie in Deutschland. Z. Morph.
Anthrop., 73, 225-236.