25.01.2013

Ein Selbstgespräch über das Klonen von Neanderthalern


Mainz, Januar 2013. In irgendeinem schäbigen Computerraum sitzt Eric M (EM), Student der Anthropologie und ist mal wieder wütend. 


Eine nichtsahnende Entität (NE) betritt den Raum.


NE: Was zum Teufel regt dich den jetzt schon wieder auf Eric?


EM: Ach ich habe nur eben auf Spiegel Online ein Interview von irgendsoeinem Harvard Professor gelesen, der darüber redete Neandetaler zu klonen.

NE: Ja und?

EM: Nunja, zum einen bin ich vollkommen perplex wie man mit solchen Schnapsideen Harvard Professor werden kann. Zum anderen, regt mich auf wie unfassbar banal und nichtssagend die Interviewfragen waren, und wie blauäugig dieser Professor eigentlich ist.

NE: Kannst du das mal näher erläutern?

EM: Könnte, ich. Das würde allerdings eine Weile dauern, weil die Geschichte auf mehreren Ebenen problematisch ist, hast du soviel Zeit?

NE: Da ich nur fiktionaler Natur bin habe ich alle Zeit der Welt und noch mehr, oder weniger. Je nachdem was dramaturgisch am besten ist.

EM: Alles klar. Beginnen wir ersteinmal mit den ganz simplen praktischen Problemen, bevor wir uns dem philosophischen widmen.

NE: Super! Philosophie ist nämlich langweilig. Es wäre blöd mit etwas langweiligem zu beginnen nicht wahr?

EM: Ganz genau. Um es uns etwas einfacher zu gestalten, gehen wir zuncäsht davon aus, dass es tatsächlich technisch möglich wäre einen Neanderthaler zu klonen, was, zumindest soweit mir das bekannt ist, noch nicht der Fall ist.

NE: Ok

EM: Das Problem was noch immer bestünde wäre, dass wir eigentlich gar nicht wirklich wissen, ob das Neanderthaler Genom so wie es sequenziert wurde, tatsächlich zu 100% von Neanderthalern stammt. Ein Teil der für die Sequenzierung herangezogenen Knochen ist nämlich nur aufgrund von archäologischen Funden als 'Neanderthaloid' klassifiziert worden. Biologisch war es nicht möglich, diese Knochen eindeutig zuordnen zu können, da sie keine diagnostischen Merkmale trugen. Es könnte also durchaus sein, dass diese Knochen von nicht-Neandertalern stammen, die allerdings die gleiche Werkzeugkultur wie die Neandertaler verwendet haben.
Umso problematischer ist es, dass aus diesen Knochen ein ziemlich großer Anteil an DNA extrahiert wurde. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass ein Großteil des Neanderthaler Genoms, gar nicht vom Neandertaler ist.
Wenn ich jetzt also nicht ganz genau weiß, ob das Neandertaler Genom tatsächlich einen Neandertaler repräsentiert, was werde ich dann eigentlich klonen? Wie kann ich mir sicher sein, dass das was ich da erschaffen habe, tatsächlich ein Neandertaler ist? Welche Relevanz hätte dieser Prozess dann für unser Streben danach zu verstehen, was in unserer Stammesgeschichte passiert ist?
Selbst wenn wir einen 'echten' Neandertaler erschaffen würden, inwiefern können wir das, was wir an diesen Lebewesen beobachten tatsächlich auf die Vergangenheit übertragen? Das sequenzierte Genom repräsentiert kein einzelnes Individuum, sondern ist eine Chimäre aus einer Vielzahl an Individuen die über ganz Europa verteilt waren und nicht einmal zur gleichen Zeit gelebt haben.
Folgt man diesen Argument, so kann man erkennen, dass das klonen eines Neandertalers keinerlei wissenschaftlichen Wert hat. Zumindest nicht, wenn es darum geht etwas über unsere eigene Vergangenheit zu erfahren.
Und das sind nur die recht naheliegenden, wissenschaftlichen Bedenken, es sind aber eher die philosophischen die mir Sorge bereiten.

NE: Ich gehe mal davon aus, dass ich jetzt so tun müsste als würde mich das interessieren nicht wahr?

EM: Ja, das wäre besser so.

NE: Ok. Erleuchte mich Eric, welche philosophisch/ethischen Probleme gäbe es denn bei geklonten Neandertalern?

EM: Das naheliegendste ist natürlich welche Rechte wir ihnen zugestehen wollen. Sind es vollwertige Menschen? Hätten sie volle Menschenrechte? Was wenn sich herausstellt, dass sie von uns doch Grundverschieden sind und sie sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren lassen. Was machen wir dann? Packen wir sie in Zoos zur Allgemeinen Unterhaltung, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit diversen Vertretern afrikanischer Stämme gemacht wurde?
Werden sie in irgendwelche Ghettos verfrachtet?
Was bei diesen Geschichten selten bedacht wird, vermutlich weil es unbequem ist und allen den Spaß verdirbt, ist dass man nicht einfach so eine Spezies wiederbelebt und sie dann frei in der Gegend rumlaufen lassen kann.
Würden wir die Neandertaler wieder'beleben' würden wir quasi eine neue Spezies kreieren und wir hätten Sorge dafür zu tragen was mit ihr passiert. Wir würden die Verantwortung für sie tragen. Wir müssten dafür sorgen, dass sie vernünftig behandelt wird.
Könnten wir dies? Könnten wir, die wir ja nicht mal in der Lage sind für unser eigenes Leben Verantwortung zu tragen, die Verantwortung für das Wohlergehen einer ganzen Spezies übernehmen?
In diesem interview und auch sonst, wenn mal auf dieses Thema hingewiesen wird, wird häufig einfach nur über das technische geredet, wie und ob es möglich wäre und welche 'Vorteile' es 'uns' bringen würde, wenn man die Neandertaler wiederbelebt. Aber was ist mit den Neandetalern selbst?
Was für einen Vorteil hätten sie?
Den Fossilien ist es wurst. Es wären ja nicht einmal ihre Nachfahren die da rumlaufen würden, es wären, wie gesagt, 'Neandertalähnliche' Menschen die wir erschüfen.

NE: Nunja, sie hätten eine Existenz nicht wahr? Und es ist existieren nicht besser als nichtexistieren?

EM: Oberflächlich vielleicht schon. Aber wenn diese Existenz zweckgebunden ist?

NE: Aber ist es dies nicht auch schon bei Rindern, Schweinen und dem ganzen anderen Viehzeug was wir essen?

EM: Schon, allerdings reden wir hier nicht von einem Schwein was geklont wird. Wir sprechen hier von Menschen, oder quasi-Menschen.
Wir kommen wieder auf die Frage zurück: Würden diese Wesen wie Menschen behandelt werden oder nicht? Wenn nicht, worauf begründen wir dies? Auf genetische (un-)ähnlichkeit? Auf das fehlen irgendwelcher, arbiträrer Merkmale wie z.B. Sprache?
Wir haben ja schon große Probleme dies bei den großen Menschenaffen zu beantworten und, wenn wir mal ganz konsequent wären, für viele andere Tiergruppen.
Und dann sollen wir eine Lebensform erschaffen die uns so ähnlich ist wie kein anderes momentan lebendes Wesen? Ganz ehrlich, dass ist eine Verantwortung die ich nicht tragen möchte.

NE: Gut du findest das also alles ziemlich kacke. Da dürfte es dich freuen zu hören, dass der Herr der dieses Interview gegeben hat, eine Reihe seiner Aussagen relativiert hat.

EM: Ich hab das mitbekommen. Ist allerdings auch nicht wirklich von Belang.

NE: Wieso das?

EM: Zum einen, weil die Frage wie man mit geklonten Neandertalern umginge ein relativ interessantes Gedankenexperiment ist, wenn es um die Frage geht, was der Mensch eigentlich ist und zum anderen, rege ich mich gar nicht so sehr, über diese Neandertalerpassage auf.

NE: (seufzt) Über was dann?

EM: Über den plumpen, dämlichen Transhumanismus den der Kerl von sich gibt.

NE (auf die nicht vorhandenden Armbanduhr schauend): Oh verdammt, ich muss eigentlich schon längst bei einem anderen Selbstgespräch sein. Wollen wir dieses Thema vielleicht irgendwann anders besprechen?

EM: Klar, wie wäre es nächste Woche?

NE: Sieht schlecht aus, ich sag die einfach Bescheid ok? Mach's gut!


Die nichtsahnende Entität verschwindet in einer grauen Wolke der Gleichgültigkeit.

Eric M greift in seinen Rucksack und befördert eine Kopie von Erwin Chargaffs 'Das Feuer des Heraklit' hervor, er schlägt es auf und liest laut vor:

'Ich betrachte den Versuch in die Homöostase der Natur einzugreifen als ein unvorstellbares Verbrechen. Haben denn die Menschen in die Schöpfung geblickt und sie fehlerhaft gefunden? Wir besitzen noch nicht eine Pathologie der naturwissenschaftlichen Vorstellungskraft; aber der Drang, die Biosphäre unwiderruflich zu verändern, könnte einen ausgezeichneten Gegenstand für solche Untersuchungen abgeben.'