Mainz, Januar 2013. In irgendeinem schäbigen Computerraum
sitzt Eric M (EM), Student der Anthropologie und ist mal wieder wütend.
Eine nichtsahnende Entität (NE) betritt den Raum.
NE: Was zum Teufel regt dich den jetzt schon wieder auf
Eric?
EM: Ach ich habe nur eben auf Spiegel Online ein Interview
von irgendsoeinem Harvard Professor gelesen, der darüber redete Neandetaler zu
klonen.
NE: Ja und?
EM: Nunja, zum einen bin ich vollkommen perplex wie man mit
solchen Schnapsideen Harvard Professor werden kann. Zum anderen, regt mich auf
wie unfassbar banal und nichtssagend die Interviewfragen waren, und wie
blauäugig dieser Professor eigentlich ist.
NE: Kannst du das mal näher erläutern?
EM: Könnte, ich. Das würde allerdings eine Weile dauern,
weil die Geschichte auf mehreren Ebenen problematisch ist, hast du soviel Zeit?
NE: Da ich nur fiktionaler Natur bin habe ich alle Zeit der
Welt und noch mehr, oder weniger. Je nachdem was dramaturgisch am besten ist.
EM: Alles klar. Beginnen wir ersteinmal mit den ganz simplen
praktischen Problemen, bevor wir uns dem philosophischen widmen.
NE: Super! Philosophie ist nämlich langweilig. Es wäre blöd
mit etwas langweiligem zu beginnen nicht wahr?
EM: Ganz genau. Um es uns etwas einfacher zu gestalten,
gehen wir zuncäsht davon aus, dass es tatsächlich technisch möglich wäre einen
Neanderthaler zu klonen, was, zumindest soweit mir das bekannt ist, noch nicht
der Fall ist.
NE: Ok
EM: Das Problem was noch immer bestünde wäre, dass wir
eigentlich gar nicht wirklich wissen, ob das Neanderthaler Genom so wie es
sequenziert wurde, tatsächlich zu 100% von Neanderthalern stammt. Ein Teil der
für die Sequenzierung herangezogenen Knochen ist nämlich nur aufgrund von
archäologischen Funden als 'Neanderthaloid' klassifiziert worden. Biologisch
war es nicht möglich, diese Knochen eindeutig zuordnen zu können, da sie keine
diagnostischen Merkmale trugen. Es könnte also durchaus sein, dass diese
Knochen von nicht-Neandertalern stammen, die allerdings die gleiche
Werkzeugkultur wie die Neandertaler verwendet haben.
Umso problematischer ist es, dass aus diesen Knochen ein
ziemlich großer Anteil an DNA extrahiert wurde. Es besteht also durchaus die
Möglichkeit, dass ein Großteil des Neanderthaler Genoms, gar nicht vom
Neandertaler ist.
Wenn ich jetzt also nicht ganz genau weiß, ob das
Neandertaler Genom tatsächlich einen Neandertaler repräsentiert, was werde ich
dann eigentlich klonen? Wie kann ich mir sicher sein, dass das was ich da
erschaffen habe, tatsächlich ein Neandertaler ist? Welche Relevanz hätte dieser
Prozess dann für unser Streben danach zu verstehen, was in unserer
Stammesgeschichte passiert ist?
Selbst wenn wir einen 'echten' Neandertaler erschaffen
würden, inwiefern können wir das, was wir an diesen Lebewesen beobachten
tatsächlich auf die Vergangenheit übertragen? Das sequenzierte Genom
repräsentiert kein einzelnes Individuum, sondern ist eine Chimäre aus einer
Vielzahl an Individuen die über ganz Europa verteilt waren und nicht einmal zur
gleichen Zeit gelebt haben.
Folgt man diesen Argument, so kann man erkennen, dass das
klonen eines Neandertalers keinerlei wissenschaftlichen Wert hat. Zumindest
nicht, wenn es darum geht etwas über unsere eigene Vergangenheit zu erfahren.
Und das sind nur die recht naheliegenden, wissenschaftlichen
Bedenken, es sind aber eher die philosophischen die mir Sorge bereiten.
NE: Ich gehe mal davon aus, dass ich jetzt so tun müsste als
würde mich das interessieren nicht wahr?
EM: Ja, das wäre besser so.
NE: Ok. Erleuchte mich Eric, welche philosophisch/ethischen
Probleme gäbe es denn bei geklonten Neandertalern?
EM: Das naheliegendste ist natürlich welche Rechte wir ihnen
zugestehen wollen. Sind es vollwertige Menschen? Hätten sie volle
Menschenrechte? Was wenn sich herausstellt, dass sie von uns doch Grundverschieden
sind und sie sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren lassen. Was machen
wir dann? Packen wir sie in Zoos zur Allgemeinen Unterhaltung, wie es zu Beginn
des 20. Jahrhunderts mit diversen Vertretern afrikanischer Stämme gemacht wurde?
Werden sie in irgendwelche Ghettos verfrachtet?
Was bei diesen Geschichten selten bedacht wird, vermutlich
weil es unbequem ist und allen den Spaß verdirbt, ist dass man nicht einfach so
eine Spezies wiederbelebt und sie dann frei in der Gegend rumlaufen lassen
kann.
Würden wir die Neandertaler wieder'beleben' würden wir quasi
eine neue Spezies kreieren und wir hätten Sorge dafür zu tragen was mit ihr
passiert. Wir würden die Verantwortung für sie tragen. Wir müssten dafür
sorgen, dass sie vernünftig behandelt wird.
Könnten wir dies? Könnten wir, die wir ja nicht mal in der
Lage sind für unser eigenes Leben Verantwortung zu tragen, die Verantwortung
für das Wohlergehen einer ganzen Spezies übernehmen?
In diesem interview und auch sonst, wenn mal auf dieses
Thema hingewiesen wird, wird häufig einfach nur über das technische geredet,
wie und ob es möglich wäre und welche 'Vorteile' es 'uns' bringen würde, wenn
man die Neandertaler wiederbelebt. Aber was ist mit den Neandetalern selbst?
Was für einen Vorteil hätten sie?
Den Fossilien ist es wurst. Es wären ja nicht einmal ihre
Nachfahren die da rumlaufen würden, es wären, wie gesagt, 'Neandertalähnliche'
Menschen die wir erschüfen.
NE: Nunja, sie hätten eine Existenz nicht wahr? Und es ist
existieren nicht besser als nichtexistieren?
EM: Oberflächlich vielleicht schon. Aber wenn diese Existenz
zweckgebunden ist?
NE: Aber ist es dies nicht auch schon bei Rindern, Schweinen
und dem ganzen anderen Viehzeug was wir essen?
EM: Schon, allerdings reden wir hier nicht von einem Schwein
was geklont wird. Wir sprechen hier von Menschen, oder quasi-Menschen.
Wir kommen wieder auf die Frage zurück: Würden diese Wesen
wie Menschen behandelt werden oder nicht? Wenn nicht, worauf begründen wir
dies? Auf genetische (un-)ähnlichkeit? Auf das fehlen irgendwelcher, arbiträrer
Merkmale wie z.B. Sprache?
Wir haben ja schon große Probleme dies bei den großen
Menschenaffen zu beantworten und, wenn wir mal ganz konsequent wären, für viele
andere Tiergruppen.
Und dann sollen wir eine Lebensform erschaffen die uns so
ähnlich ist wie kein anderes momentan lebendes Wesen? Ganz ehrlich, dass ist
eine Verantwortung die ich nicht tragen möchte.
NE: Gut du findest das also alles ziemlich kacke. Da dürfte
es dich freuen zu hören, dass der Herr der dieses Interview gegeben hat, eine
Reihe seiner Aussagen relativiert hat.
EM: Ich hab das mitbekommen. Ist allerdings auch nicht
wirklich von Belang.
NE: Wieso das?
EM: Zum einen, weil die Frage wie man mit geklonten
Neandertalern umginge ein relativ interessantes Gedankenexperiment ist, wenn es
um die Frage geht, was der Mensch eigentlich ist und zum anderen, rege ich mich
gar nicht so sehr, über diese Neandertalerpassage auf.
NE: (seufzt) Über was dann?
EM: Über den plumpen, dämlichen Transhumanismus den der Kerl
von sich gibt.
NE (auf die nicht vorhandenden Armbanduhr schauend): Oh
verdammt, ich muss eigentlich schon längst bei einem anderen Selbstgespräch
sein. Wollen wir dieses Thema vielleicht irgendwann anders besprechen?
EM: Klar, wie wäre es nächste Woche?
NE: Sieht schlecht aus, ich sag die einfach Bescheid ok?
Mach's gut!
Die nichtsahnende Entität verschwindet in einer grauen
Wolke der Gleichgültigkeit.
Eric M greift in seinen Rucksack und befördert eine Kopie
von Erwin Chargaffs 'Das Feuer des Heraklit' hervor, er schlägt es auf und
liest laut vor:
'Ich betrachte den Versuch in die Homöostase der Natur
einzugreifen als ein unvorstellbares Verbrechen. Haben denn die Menschen in die
Schöpfung geblickt und sie fehlerhaft gefunden? Wir besitzen noch nicht eine
Pathologie der naturwissenschaftlichen Vorstellungskraft; aber der Drang, die
Biosphäre unwiderruflich zu verändern, könnte einen ausgezeichneten Gegenstand
für solche Untersuchungen abgeben.'