20.07.2011

Spekulation über Speziation

Heute geht es um ein Thema, ohne das es vermutlich viele der momentan herrschenden Diskussionen innerhalb der Paläoanthropologie nicht gäbe, nämlich um die Frage wie sich neue Arten bilden können.


Ich habe mich in der Vergangenheit sehr viel mit diesem Thema auseinandergesetzt und auch wenn sehr viele kluge Menschen etwas darüber geschrieben haben, so entspringt ein Großteil dessen was in diesem Post steht meinen eigenen Überlegungen. Sollte also jemand Fehler in meinen Darstellungen bemerken, so wäre sehr froh darüber wenn man mich darauf hinweisen könnte.


Im Grunde genommen gibt es hier zwei unterschiedliche Grundannahmen:


Die erste geht davon aus, dass Arten in aller Regel durch die Aufspaltung einer Ursprungsart in zwei Tochterarten entsteht.












Die zweite Schule geht davon aus, dass Arten durch graduelle Veränderungen im Laufe der Zeit entstehen.











Bevor wir uns jetzt ansehen, wie beide Prozesse in der Natur möglicherweise ablaufen könnten, sollte man noch kurz klären, nach welchem Kriterium man eine neue Art überhaupt definiert. Dies sind nicht etwa Unterschiede in der äußeren Gestalt, oder in der genetischen „Ausstattung“, obwohl beides eine Rolle spielt. Das Hauptkriterium zum definieren einer Art ist, ob sie in der Lage ist, mit anderen Individuen fortpflanzungsfähige Nachkommen zu erzeugen. Das bedeutet, dass Artbildungsprozesse sehr häufig mit dem Auftauchen von Fortpflanzungsbarrieren zu tun haben, seien sie nun geografisch oder möglicherweise sogar vom Verhalten bedingt.


Dies ist bei einer punktuellen Artbildung, relativ simpel zu erklären:


Beispiel für eine punktuelle Speziation: Nehmen wir an eine Art "A" lebt in einem bestimmten Habitat "X". Nun, z.B. durch ein geologisches Ereignis, wird entsteht eine Barriere in besagtem Habitat. Dies führt dazu, dass sich die Umweltbedingungen an beiden Seiten dieser Barriere verändern. Durch das fehlen jeglichen Genflusses zwischen den beiden Teilpopulationen von A im zweiten Bild, werden im Laufe der Zeit in dem Habitaten, was vorher das Habitat X war, zwei neue Spezies entstehen.

Wie kann nun eine gradualistische Artbildung möglich sein?
Ich habe sehr lange über diese Frage nachgedacht und mir ist eigentlich nur ein Modell eingefallen, was funktionieren könnte:

1. Nehmen wir an die betroffene Spezies ist auf ein Habitat begrenzt.
2. Nehmen wir weiter an, dass zwischen den einzelnen Populationen der Spezies ein unbegrenzter Genfluss stattfinden kann.
3. Nun verändert sich das Habitat im Laufe der Zeit und die Spezies passt sich an diese Veränderungen an.
4. Mit fortschreitender Zeit würde die betroffene Spezies einen immer größer werdenden Unterschied zu der Ursprungspezies haben, bis man letztendlich irgendwann von einer neuen Art sprechen könnte.


Das Problem an diesem Modell ist jedoch, dass zwischen den Populationen stets ein reger Genfluss geherrscht hat, d.h. es bestand zu keinem Zeitpunkt eine tatsächliche Fortpflanzungsbarriere. Die einzige Barriere die man annehmen könnte, wäre die das zwischen Art A und Art B ein so großer Unterschied ist, dass man davon ausgehen kann, dass diese Arten, so sie denn gleichzeitig existieren würden, keine fortpflanzungsfähigen Nachkommen mehr erzeugen könnten.
Dies würde dem Konzept der „Chronospezies“ relativ nahe kommen, bei der Arten nach ihrer zeitlichen Abfolge her definiert werden.


Nur wie können wir uns sicher sein, dass Art A und Art B tatsächlich keine Fortpflanzungsfähigen Nachkommen mehr bilden konnten? Und wie immer, wenn wir es mit Ereignissen aus der Vergangenheit zu tun haben ist die Antwort so simpel wie ernüchternd: Wir können es nicht. Wir haben keine Möglichkeiten Art A wieder ins Leben zurückzuholen um herauszufinden, ob sie nun doch noch gefallen an Art B finden würde. Dies ganze führt dazu, dass Evolutionsmodelle, die von einer gradualistischen Abfolge der Arten ausgehen stets hochspekulativ sind.

In der Paläoanthropologie gibt es zwei Beispiele, wo dieses Problem eine Rolle spielt. Zum einen ist es wohl möglich eine direkte Linie zwischen Australopithecus anamensis und Australopithecus afarensis zu ziehen (Kimbel et al. 2006, Haile-Selassie et al. 2010) und die Autoren sprechen hier auch explizit von einer gradualistischen Artbildung.
Das zweite Beispiel sind die nachweise für Hybridisierungen zwischen modernen Menschen und Neandertalern (Green et al. 2010) und zwischen modernen Menschen und den Menschen aus der Denisova Höhle (Reich et al. 2010).
Bei beiden Beispielen gibt es entweder gute Gründe von einem konstanten Genfluss auszugehen oder man hat sogar Beweise, dass es zu hybridisierungen gekommen ist, die Frage stellt sich nun, was man mit diesen Ergebnissen anfängt.
In meinen Augen kann man bei beiden Fällen nicht von unterschiedlichen Spezies reden, so lange man der Maxime folgt, dass Spezies durch das auftauchen von Fortpflanzungsbarrieren definiert werden. Ich könnte natürlich auch andere Kriterien einführen, wie zum Beispiel das Chrono-Spezies Konzept, doch laufe ich bei diesen Schritten immer Gefahr willkürlich zu werden und subjektive Kriterien für die Interpretation meiner Beobachtungen anzulegen.


Ich muss allerdings betonen, dass ich, bedingt durch die Lehrer die ich hatte, vielleicht etwas voreingenommen gegenüber einer bestimmten Richtung bin. Zudem fallen mir in meiner Argumentation jetzt schon ein paar Unstimmigkeiten auf, also sollte man meine Ausführungen auch mit Vorsicht genießen. Trotzdem bin weiterhin überzeugt, dass meine Darstellung die wissenschaftlich sicherere ist und sie deshalb auch gegenüber anderen Darstellungen zu bevorzugen sei. Aber ich bin mir sicher, dass in dieser Sache mit Sicherheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.


Literatur:

Kimbel, W., et al. (2006). Was Australopithecus anamensis ancestral to A. afarensis? A case of anagenesis in the hominin fossil record Journal of Human Evolution, 51 (2), 134-152 DOI: 10.1016/j.jhevol.2006.02.003
Green, R., et al. (2010). A Draft Sequence of the Neandertal Genome Science, 328 (5979), 710-722 DOI: 10.1126/science.1188021
Haile-Selassie, Y., et al. (2009). New hominid fossils from Woranso-Mille (Central Afar, Ethiopia) and taxonomy of early Australopithecus American Journal of Physical Anthropology DOI: 10.1002/ajpa.21159
Reich D., et al. (2010). Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia. Nature, 468 (7327), 1053-60 PMID: 21179161