11.11.2010

Ich muss mal etwas pöbeln.

Ich hatte letzten Dienstag das zweifelhafte Privileg mir einen Vortrag von Ulrich Kutschera (Titel: „Tatsache Evolution, was Darwin noch nicht wusste“) anzuhören. Naja, es war eigentlich kein Vortrag, sondern vielmehr eine Predigt. Eine Predigt, die gefühlt alle zwei Minuten entweder mit einem Verweis des Predigers auf irgendeinen von ihm verfassten Nature/Science Artikel oder auf die Tätigkeiten des Predigers als Gastdozent an der Stanfort University unterbrochen wurde.



Abgesehen von diesen nar(r)zistischen Ausflügen des Predigers ging es in der Predigt um einen ziemlichen Rundumschlag über die Evolutionstheorie und darum, was Darwin denn noch so abseits seiner „Entstehung der Arten“ so geschrieben hat.
Ich will mich jetzt nicht mit allen Details aufhalten, kurz gesagt: Es war furchtbar, vom Anfang bis zum Ende.


Nicht nur, dass Herr Kutschera einen, in meinen Augen, furchtbaren Vortragstil hatte inklusive eines Egos, dass zwei Drittel des Raumes einzunehmen schien und er zudem auch noch ziemlich arrogant auf die Publikumsfragen geantwortet hat, nein er hat auch noch fachliche Fehler begangen.


So sprach er beispielsweise immer wieder von „fossilen Zwischenformen“. Fossile Zwischenformen, oder „missing links“ wie man sie auch nennen könnte, gibt es nicht. Die Annahme, dass es fossile Zwischenformen auf den, zu den rezenten Arten führenden Stammlinien gibt, würde eine bestimmte Art von „Richtung“ in der Evolution implizieren. Doch habe ich ja zu Beginn dieser Woche gezeigt, dass es eben das neue an der Evolutionstheorie ist, dass es in der Natur keine Richtung und kein Ziel gibt. Jedes Fossil was wir finden ist keine „Zwischenform“ sondern ein, an bestimmte Bedingungen in der Vergangenheit angepasstes, Lebewesen. Alles was wir heutzutage feststellen können ist wie nahe verwandt, d.h. wie ähnlich diese fossilen Arten heutzutage lebenden Arten sind.

Ein weiterer Punkt der mich jetzt von anthropologischer Seite her aufregt ist, dass er behauptet hat, dass sich der Mensch aus einer „Schimpansenähnlichen Vorläuferart“ herausgebildet habe.
Irgendwie scheinen Personen, die versuchen Evolutionstheorie einem breiteren Publikum erklären zu wollen, immer die Stellen wo es um die Evolution des Menschen geht, nicht vernünftig darstellen zu können. Fakt ist, wir wissen nicht, wie der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse ausgesehen hat. Wenn wir uns Ardipithecus ramidus ansehen, so erscheint es sehr wahrscheinlich, dass er überhaupt nicht wie ein Schimpanse ausgesehen hat. Klar ist Ardipithecus noch etwas umstritten, aber einfach anzunehmen, der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse sei „schimpansenähnlich“ impliziert wieder eine gewisse Form von Richtungs- bzw. Fortschrittsdenken, was so nicht in der Natur vorhanden ist.


Ein weiterer Punkt der mich massiv stört, ist das Wort „Tatsache“ in dem Titel des Vortrags (ein, nicht wirklich gutes, Buch von ihm trägt übrigens den gleichen Titel). Es gibt in den Naturwissenschaften keine „Tatsachen“, es gibt Hypothesen und Theorien, die mehr oder weniger gut gestützt sind. Warum gibt es keine Tatsachen? Weil ich mir niemals sicher sein kann ob das, was ich bislang herausgefunden habe, auch tatsächlich wahr ist. Die einzige Möglichkeit die ich habe, herauszufinden, ob etwas nicht stimmt, ist es zu widerlegen. Wenn ich jetzt aber behaupte eine wissenschaftliche Theorie entspräche einer Tatsache, so schließe ich von vorneherein jegliche Möglichkeit der Falsifikation aus und mache aus der Theorie im Grunde genommen eine Ideologie. Dies sind alles Dinge die man lernt, wenn man sich ein kleines bisschen mit Wissenschafts- und Erkenntnistheorie auseinandersetzt.

Ulrich Kutschera ist, soweit ich weiß, das lauteste Sprachrohr gegen den Kreationismus in Deutschland. Nur geht er bei dieser Sache komplett falsch vor. Statt zu versuchen Verständnis zu wecken, was die Evolutionstheorie eigentlich aussagt, versucht er Leute ideologisch zu indoktrinieren. Was er dabei ignoriert, ist dass ein solches vorgehen seinen „Gegnern“ voll in die Hände spielt. Häufig wird ja von Vertretern des „Intelligent Design“ behauptet, Evolutionsbiologie seien „dogmatisch“ und würden alternative „Theorien“ unterdrücken. Wenn jetzt Herr Kutschera mit seinem Buch/Vortragstitel „Tatsache Evolution“ durch die Lande tingelt, so gibt er genau diese Leuten recht!
Und wenn ich dann auch noch, wie Herr Kutschera, so arrogant bin und (sinngemäß) behaupte, dass Religionen für Leute Sinn machen, die so eher auf der Versagerseite des Lebens stehen, dann brauch ich mich nicht zu wundern, wenn ich am Ende das genaue Gegenteil von dem erreiche, was ich eigentlich möchte.

Kurzum, man sollte Evolutiontheorie "lehren" und nicht "predigen".



So, jetzt geht es mir wieder besser.