Posts mit dem Label Paläoanthropologie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Paläoanthropologie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

25.01.2013

Ein Selbstgespräch über das Klonen von Neanderthalern


Mainz, Januar 2013. In irgendeinem schäbigen Computerraum sitzt Eric M (EM), Student der Anthropologie und ist mal wieder wütend. 


Eine nichtsahnende Entität (NE) betritt den Raum.


NE: Was zum Teufel regt dich den jetzt schon wieder auf Eric?

04.04.2012

Bipedie ist immer gut!

Meldung über potentiell aufrecht gehende Fossilien sind immer interessant. Aber es gibt unterschiedliche Arten von aufrechten Gängen und nicht jeder ist tatsächlich eine Meldung wert. Hier ein Beispiel wie etwas (scheinbar) sensationelles im Grunde genommen total banal ist.

09.11.2011

Unsere Verwandtschaft zu den Menschenaffen und was es da so an Schwierigkeiten gibt

Sich mit taxonomischen Fragestellungen auseinanderzusetzen ist in aller Regel eine ziemlich undankbare Aufgabe. In irgendeiner Art und Weise tritt man immer irgendjemanden auf die Füße und in aller Regel dauert es nicht sonderlich lange, bis dieser jemand irgendetwas findet, was an den eigenen Ergebnisse nicht so ganz stimmig ist.
Das übliche Argument was kommt, ist dass die gefundenen Gemeinsamkeiten zwischen zwei, oder mehreren Arten, auf Parallelentwicklungen beruhen und daher nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse widerspiegeln. Dieses Argument kommt praktisch immer, wenn eine Studie zu den phylogenetischen Beziehungen zwischen großen Menschenaffen, fossilen Menschenformen und dem modernen Menschen publiziert werden, bzw. wenn irgendein neues Fossil gefunden wurde.
Die Morphologie hat in der Tat einen schweren Stand wenn es um dieses Problemfeld geht, da sie in schöner Regelmäßigkeit daran scheitert die Ergebnisse molekulargenetischer Studien zu diesem Thema zu reproduzieren (siehe Wood und Collard, 2002, Strait und Grine, 2004 sowie Wood und Harrison, 2010).

Stammbaum zu den phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnissen zwischen afrikanischen Mernschenaffen und Menschen nach molekulargenetischen Erkenntnissen.


Die Konsequenz aus dieser Problematik ist dass Verwandtschaftshypothesen die auf diesen Merkmalen beruhen schon von vorneherein mit enormer Skepsis begegnet wird. Dies ist vor allem deshalb relativ problematisch, da man auf morphologische Merkmale angewiesen ist, wenn es darum geht fossile Formen taxonomisch richtig zuordnen zu können.
Doch haben diese Schwierigkeiten, tatsächlich etwas mit parallelen Entwicklungen zu tun, oder können diese auch woanders begründet sein?

Um diese Frage beantworten zu können, stellen wir uns erstmal eine Modellpopulation „P“ vor.




1. In dieser Population gibt es eine Reihe von Merkmalen, die extrem polymorph sind, d.h. sie können in mehr als einer „Ausführung“ innerhalb der Population vorkommen. Um das ganze übersichtlich zu halten, betrachten wir hier allerdings nur zwei Merkmale.

Das erste Merkmal hat entweder die Zustände "+" oder "-" 
Das zweite Merkmal hat entweder die Zustände "Kreis" oder "Quadrat" (ich bin leider zu inkompetent um hier die Symbole hierfür einzufügen)



2. Nun spaltet sich eine Subpopulation, nennen wir sie „P1“ von der Hauptpopulation ab.



3. Kurz nachdem sich P1 abgespaltet hat, spaltet sich nun der Rest von „P“ in zwei weitere Subpopulationen „P2“ und „P3“ auf.



Wenn wir uns das Abspaltungsmuster betrachten, erkennen wir, dass P2 und P3 näher miteinander verwandt sind, da sich ihre Linien erst getrennt haben, nachdem sich P1 abgespalten hat. Wenn wir jetzt allerdings nicht dabei waren als sich die Populationen aufgespaltet haben, was quasi immer der Fall ist, wenn wir uns reale Verwandtschaftsverhältnisse ansehen, so sind wir auf die Merkmale angewiesen um einen phylogenetischen Baum rekonstruieren zu können. Das Problem in unserem Falle ist jedoch, dass die Merkmale die uns zur Verfügung stehen kein klares Signal aussenden. Stattdessen unterscheiden sich die Verwandtschaftshypothesen je nach Merkmal das ich betrachte.
Um es noch mal deutlich zu sagen, dieser Zustand ist nicht durch konvergente Evolution entstanden, sondern einfach das schnelle Aufspalten einer polymorphen anzestralen Population
Dieses Phänomen nennt sich unvollständiges „lineage sorting“. Interessanterweise finden sich in der DNA von Gorilla Schimpanse und Mensch eine Reihe von Hinweisen auf dieses Phänomen.
In einer Untersuchung von Satta und Kollegen (2000) sprachen insgesamt 40% der untersuchten Loci entweder für eine Schimpanse-Gorilla, eine Mensch-Gorilla oder eine Mensch-Gorilla-Schimpanse Trichotomie (alle drei Spezies haben sich gleichzeitig aufgespaltet). Genauso fanden sich in einer Arbeit von Salen und Kollegen (2003) ziemlich klare Hinweise auf unvollständiges lineage sorting.

In aller Regel ist diese ganze Geschichte eher ein Problem bei molekulargenetischen Arbeiten, und wird bei morphologischen Studien nicht wirklich bedacht. Hauptsächlich, weil es quasi nicht möglich ist, herauszufinden wie polymorph die anzestrale Population auf phänotypischer Ebene tatsächlich war. Ich persönlich denke aber, dass man diese Sache zumindest im Hinterkopf behalten sollte. Vor allem, wenn man sich betrachtet wie Polymorph unsere eigene Spezies auf morphologischer Ebene in der Vergangenheit war. Schließlich müssen wir, den Studien von Green et al (2010) sowie von Reich et al (2010) sei dank mittlerweile mindestens den Neandertaler, wenn nicht gar noch Homo heidelbergensis in unsere Spezies miteinschließen. Ich denke dieses Beispiel zeigt ganz gut, wie divers einzelnen Vertreter einer Spezies aussehen können, ohne dass ihre Fähigkeit sich miteinander zu kreuzen großartig eingeschränkt wäre. Ähnliches könnte ja auch für die anzestrale Population von Gorilla, Schimpanse und Mensch gegolten haben.

Welche Auswirkungen hat dies alles nun für Stammbaumrekonstruktionen, abseits davon, dass es einen weiteren Unsicherheitsfaktor gibt? Ich denke, die wichtigste Konsequenz aus dieser Sache ist, dass wir nicht in der Lage sind Aussagen über die „Qualität“ einzelner Merkmale oder Merkmalskomplexe treffen zu können. Selbst wenn die untersuchten Merkmale im Allgemeinen so komplex sind, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass die gleichen Merkmale zweimal unabhängig voneinander entstanden sind, so könnten sie immer noch durch unvollständige lineage sorting beeinflusst worden sein. Dies ist in der Studie von Salen et al. (2003) der Fall gewesen, die Merkmale untersucht haben, bei denen es nahezu unmöglich ist, dass diese zweimal unabhängig voneinander bei zwei nahe Verwandten Arten entstanden sein könnten.
Ich persönlich will nicht die Möglichkeit ausschließen, dass es innerhalb der Evolution der großen Menschenaffen zu Parallelentwicklungen gekommen ist. Doch sollte man vielleicht vorsichtig sein und ganze Kolonnen von Merkmalen deshalb als untauglich zu deklarieren nur weil sie nicht in der Lage waren, die „richtige“ Phylogenie zu rekonstruieren. Wir wissen, dass es bei der Aufspaltung der Linien von Gorilla, Schimpanse und Mensch zu unvollständigem Lineage sorting gekommen ist und auch wenn wir nicht wissen, wie stark der Phänotyp von diesen Sachen beeinflusst war, so sind wir nicht in der Lage, einfach davon auszugehen, dass dies einfach nicht der Fall war.
Vielleicht sollte man sich deshalb, anstatt auf morphologische Merkmale im Allgemeinen, auf die Merkmale konzentrieren die für die „richtige“ Phylogenie sprechen und untersuchen, inwiefern diese einen gemeinsamen Ursprung haben. Diese Merkmale könnte man dann auch mit relativer Sicherheit an fossilen Arten verwenden, ohne dass man sich großartig mit den üblichen, lästigen Problemen auseinandersetzen müsste.


Literatur:

Collard M, Wood B (2000). How reliable are human phylogenetic hypotheses? Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 97 (9), 5003-6 PMID: 10781112
Green, R. et al. (2010). A Draft Sequence of the Neandertal Genome Science, 328 (5979), 710-722 DOI: 10.1126/science.1188021
Reich, D.et al. (2010). Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia Nature, 468 (7327), 1053-1060 DOI: 10.1038/nature09710 
Salem, A. (2003). Alu elements and hominid phylogenetics Proceedings of the National Academy of Sciences, 100 (22), 12787-12791 DOI: 10.1073/pnas.2133766100
Satta Y, Klein J, & Takahata N (2000). DNA archives and our nearest relative: the trichotomy problem revisited. Molecular phylogenetics and evolution, 14 (2), 259-75 PMID: 10679159
Strait DS, Grine FE (2004). Inferring hominoid and early hominid phylogeny using craniodental characters: the role of fossil taxa. Journal of human evolution, 47 (6), 399-452 PMID: 15566946
Wood, B., Harrison, T. (2011). The evolutionary context of the first hominins Nature, 470 (7334), 347-352 DOI: 10.1038/nature09709

28.09.2011

Wohin mit Australopithecus sediba?

Ich habe ziemlich lange überlegt, was genau ich mit Australopithecus sediba anfangen soll und wie ich das Fossil in dem Blog behandeln möchte. Letztendlich kam ich zu den Schluss, dass ich bei dem bleiben sollte, was ich im Moment ganz gut kann: Taxonomie. Ich musste für mein Studium in letzter Zeit ein paar Stammbäume rekonstruieren und habe dabei herausgefunden, wie man dies relativ einfach und ohne großen finanziellen Aufwand erledigen kann. Man bedient sich einfach an den Freewareprogrammen von Genetikern. Zwar sind diese nicht perfekt für morphologische Merkmale zugeschnitten und man muss eine Reihe von Sachen bedenken und bearbeiten (was alles genau erzähle ich ein anderes Mal), aber man kann sich relativ schnell einen Überblick über ein bestimmtes taxonomisches Problem verschaffen. Und genau dies habe ich mit Australopithecus sediba gemacht





Phylogenetischer Stammbaum (aus Strait et al., 1997) ohne Australopithecus sediba:



Strait et al. (1997)

Hier nun ein phylogenetischer Stammbaum der mit der gleichen Merkmalsmatrix erstellt wurde, nur dass ich noch Merkmale von Australopithecus sediba (aus Berger, 2010) eingefügt habe:




Gleiche Merkmale nur dieses Mal mit A. sediba.

Das zweite Bild spiegelt genau das wider, was für über die Position von Australopithecus sediba wissen. Was zuvor eine, zumindest im Stammbaum, schöne Auflösung der Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Gattung Homo war, ist nur zu einer hässlichen Multifurkation kollabiert, die aufzeigt, dass das Programm nicht in der Lage war, diese Äste vernünftig aufzulösen. Das Fossil hängt also irgendwo zwischen den frühsten Vertreter der Gattung Homo und Homo erectus/ergaster.
Die taxonomische Position von Homo habilis und Homo rudolfensis war schon immer nicht wirklich klar. Homo rudolfensis selbst ist aus dem Problem entstanden, dass die Fossilien die man alle zu Homo habilis zählte zu variabel waren, als das man sie guten Gewissens in eine einzige Spezies hätte packen können. Also wurde das „Hypodigma“ (Sammlung aller Fossilien die einer Spezies beschreibt) von Homo habilis in zwei Spezies aufgeteilt, ich werde jetzt allerdings nicht näher auf die einzelnen Merkmale eingehen, das würde einfach zu lange werde.

Um zurück zu Australopithecus sediba zu kommen, das Fossil bringt dieses ganze Problemfeld noch mehr durcheinander, da es, wie wir sehen konnten, sehr nah mit den frühsten Vertretern von Homo verwandt ist, aber auch weil es nur 1,9 Mio. Jahre alt ist.
Das ist deshalb problematisch, weil von Homo habilis und Homo rudolfensis Funde bekannt sind, die weit über 2 Mio. Jahre alt sind und von Homo ergaster/erectus gibt es Funde die nur einen Bruchteil jünger sind als die sediba Fossilien. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass man bereits bei 1,7 Mio. Jahren menschliche Fossilien in Georgien findet, kann man gut erkennen wie verworren diese ganze Geschichte ist.
Aber werfen wir doch mal einen Blick auf die einzelnen möglichen Verwandtschaftsbeziehungen die Australopithecus sediba und die Vertreter der Gattung Homo haben könnte.




A. sediba außerhalb der Gattung Homo


Hier würde Australopithecus sediba einen letzten gemeinsamen Vorfahren mit der Gattung Homo teilen. Das einzige Problem, was man hätte, wäre dass man die zu Homo habilis und Homo rudolfensis zählenden Fossilien die älter als 2 Mio. Jahre sind möglicherweise neu klassifizieren müsste.


Alle weiteren Alternativen ruinieren mehr oder weniger das, was wir bisher unter der Gattung Homo verstehen:





Mögliche Verwandtschaftsverhältnisse, wenn  A. sediba innerhalb der Gattung Homo läge (Auszüge).


Egal welche Hypothese wir betrachten, die Gattung Homo ist in keiner von diesen monophyletisch. Das bedeutet, das man entweder Australopithecus sediba in die Gattung Homo aufnehmen sollte, was schwierig werden könnte, weil es die Gattungsdefinition von Homo noch weiter aufweichen würde. Oder aber, das wir Homo habilis und Homo rudolfensis aus der Gattung Homo herausnehmen.
Ich persönlich weiß nicht wirklich was man machen sollte, ich denke es braucht weitere Untersuchungen und weitere Funde um dieses Problem besser lösen zu können. Was man jedoch sagen kann ist, dass die Entstehung der Gattung Homo aller Wahrscheinlichkeit nicht gradualistischer Natur war.
Vielmehr glaube ich, dass wir es hier mit einer Reihe von, möglicherweise unabhängig voneinander ablaufenden, Speziationsereignissen zu tun hatten. Dies würde erklären, warum in diesem Zeitraum so viele Formen auftreten, die sich zwar ähnlich sind, sich aber zeitlich und räumlich überschneiden und deren taxonomische Zugehörigkeit nicht eindeutig zu klären ist. Es gibt auch weitere Gründe die für diesen Gedanken sprechen, aber darüber werde ich beim nächsten Mal etwas schreiben.

 Literatur:
 

Berger, L., de Ruiter, D., Churchill, S., Schmid, P., Carlson, K., Dirks, P., Kibii, J. (2010). Australopithecus sediba: A New Species of Homo-Like Australopith from South Africa Science, 328 (5975), 195-204 DOI: 10.1126/science.1184944
Strait, D., Grine, F., Moniz, M. (1997). A reappraisal of early hominid phylogeny Journal of Human Evolution, 32 (1), 17-82 DOI: 10.1006/jhev.1996.0097

11.09.2011

Australopithecus sediba: Interessante Interviews

Ich hatte noch keine Zeit tiefer in die Artikel zu schauen, habe aber vor dies morgen zu tun. Für Leute die allerdings nicht warten können, gibt es hier zwei Interviews die ganz interessant sind und zudem mit Personen geführt wurden, die wesentlich kompetenter als ich sind.




Science Podcast mit Lee Berger: Hier


Interview mit Lee Berger und Bernard Wood: Dort

20.05.2011

Aufrecht stehend lässt's sich besser prügeln.

Heute geht es um die lustige Frage, ob wir unter anderem möglicherweise deshalb auf zwei Beinen gehen, weil wir dadurch besser unseren Mitmenschen die Fresse polieren können, als wenn wir nicht aufrecht stehen würden.
Diese Frage, nur wesentlich seriöser formuliert, stellte sich zumindest David Carrier und untersuchte deshalb, wie stark die Schläge von erwachsenen Männern sind, wenn sie aufrecht stehen, und wenn sie nicht tun.


Die erste Frage die einem hier durch den Kopf geht ist natürlich, wie man überhaupt auf diese Idee kommen kann. Sieht man sich bei anderen Säugetieren um, so beobachtet man immer, wieder dass vor allem die männlichen Tiere, bei Konflikten ihre Vorderextremitäten benutzen um ihre Gegner zu schlagen, bzw. sich aufrichten um bedrohlicher zu wirken. Dieses Verhalten sieht man auch bei großen Menschenaffen und dort sogar ziemlich häufig.
In der Tat zeigte sich in der Untersuchung, dass Männer in der Lage sind wesentlich härter zuzuschlagen, wenn sie aufrecht stehen, als wenn sie es nicht tun.
Doch kann man aus diesem Ergebnis schlussfolgern, dass männliches Aggressionsverhalten oder aggressives Imponiergehabe im Allgemeinen eine Rolle bei der Evolution des aufrechten Ganges gespielt haben?
An dieser Stelle kommt ein ganzer Rattenschwanz an Problemen auf uns zu, denn auch wenn die Ergebnisse zeigen, dass man aufrecht stehend härter zuschlagen kann, so bedeutet dies im Gegenzug noch lange nicht, dass dieser Punkt auch nur irgendeine Rolle bei der Evolution des aufrechten Gangs gespielt hat.
Wie ich in meinem letzten Post gezeigt habe, brauchen wir bei derartigen Theorien aber unbedingt einen Bezug auf fossile Formen um überhaupt irgend eine Form von Testbarkeit herstellen zu können. Wir wissen nicht, wie sich die Menschenaffen im Miozän (der Zeitabschnitt der für derartige Fragen von Bedeutung ist) tatsächlich verhalten haben und ob unser Verhalten oder das rezenter Menschenaffen mit dem Verhalten dieser früheren Arten vergleichbar ist. Diese Studie führt nur rezente Arten als Vergleichsmaterial auf und macht keine Aussage über irgendeine Form von Merkmalstransformation oder ähnlichem, was man auf fossile Überlieferungen zurückführen konnte.
Ein weiteres Problem was bei dieser Art Studie auftaucht ist, dass ich Gefahr laufe, die Evolution als Stufenleiter darzustellen, indem ich uns nahe verwandte, rezente Arten als 1:1 Modell für unsere Vorfahren benutze, obwohl es genug Anzeichen gibt, dass dies nicht zwingend der Fall ist. Die Gegenwart erklärt nun mal nicht die Vergangenheit auch wenn wir es uns noch so wünschen.


Es sind Studien wie diese die mich darüber nachdenken lassen, ob ich nicht irgendetwas fundamentales nicht verstanden habe. In meinen Augen schmeißt dieser Artikel alles was ich über wissenschaftliche Theorienbildung gelernt habe über Bord und erzählt stattdessen eine, mehr oder weniger, interessante Geschichte und ich kann nicht verstehen, wie so etwas passieren und sogar publiziert werden kann


Literatur:
ResearchBlogging.org



Carrier, D. (2011). The Advantage of Standing Up to Fight and the Evolution of Habitual Bipedalism in Hominins PLoS ONE, 6 (5) DOI: 10.1371/journal.pone.0019630

03.05.2011

Der Stopknopf öffnet nicht die Tür: Was uns Bus fahren über wissenschaftliches Arbeiten lehrt.

Ich habe keinen Führerschein und bin daher auf öffentliche Verkehrsmittel, für gewöhnlich ist dies der Bus, angewiesen um von A nach B zu kommen. Und auch wenn es manchmal ziemlich nervig ist, z.B. wenn man im Sommer gegen 10 Uhr zur Uni fahren möchte, so kann man doch eine ganze Reihe interessanter Verhaltensweisen beobachten. Wie zum Beispiel folgende:

In vielen Bussen sind drei Arten von Knöpfen untergebracht: „STOP“ Knöpfe um dem Busfahrer zu signalisieren an der nächsten Haltestelle anzuhalten, Knöpfe um eine Rollstuhlrampe anzufordern und, in längeren Bussen, Türöffner an der hintersten Tür. Letztere, und nur diese, öffnen, sobald der Bus anhält, auf Knopfdruck die hinterste Tür. Die vorderen Türen werden in aller Regel vom Busfahrer geöffnet und sind mit keinen Türöffnern verbunden.
Wir haben hier also zwei unterschiedliche Fälle, einmal gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Handlung „drücke Knopf“ und dem Ereignis „Tür öffnet sich“ und einmal gibt es diesen nicht. Das Problem ist hierbei jedoch, dass Fahrgäste, wenn sie auf an einer der vorderen Türen auf den nächstbesten Knopf drücken, keine Rückmeldung erhalten, das ihre Aktion nichts bewirkt, stattdessen öffnet sich, vom Busfahrer gesteuert, die Tür.


Diese Personen haben aus einer gewissen Anzahl von Erlebnissen ein allgemeines Prinzip abgeleitet: Wenn ich aus dem Bus aussteigen will, muss ich einen Knopf neben der Tür drücken. Dabei ist es vollkommen egal, ob auf diesem Knopf „Tür öffnen“, „STOP“ oder „Rampe anfordern“ steht.
Die meisten Leute werden mit Sicherheit, wenn man sie darauf anspricht, sagen, dass auf jeden Fall diese Knöpfe die Türen öffnen, schließlich funktioniert es ja jedes Mal, wenn sie aussteigen wollen. Das Problem hierbei ist, ist dass die Leute den Faktor „Busfahrer“ nicht kennen, d.h. wenn sie immer auf den Knopf drücken wenn der Bus hält, werden sie immer denken das sie es sind, die die Tür öffnen, anstatt das es der Busfahrer macht.


Die einzige Möglichkeit mit Sicherheit herauszufinden, ob das Prinzip „Knopf öffnet Tür“ tatsächlich allgemeingültig ist, ist die Falsifikation, d.h. wir müssen die Hypothese testen „alle Türen gehen von selbst auf“. Diese Hypothese lässt sich testen, indem man konsequent keinen Knopf betätigt, wenn man den Bus verlassen will und einfach beobachtet was passiert. Schnell wird man feststellen, dass diese Hypothese in bestimmten Fällen zutrifft und manchmal nicht. In jedem Fall bedeutet dies, dass die Eingangstheorie „Knopf öffnet Tür“ falsch ist, da sie nicht allgemeingültig ist. Durch die weiteren Beobachtungen kann man dann herausfinden, dass hinteren Türen in aller Regel mithilfe eines Knopfdrucks geöffnet werden, wohingegen die vorderste und mittlere Tür ohne Knopfdruck aufgehen. Dieser ganze Prozess würde also zur „speziellen Kausaltheorie der Bustüröffnung“ führen.


Mithilfe dieser Methode, würden diese Fahrgäste nicht nur aufhören wie pavlowsche Hunde auszusehen wenn sie den Bus verlassen möchten, sie hätten sogar gelernt wie man richtig Wissenschaft betreibt.

Ob man nun, wie ich als ich noch zur Schule gegangen bin, herausfinden will, wie die Türen im Bus funktionieren, oder ob ich eine  wissenschaftliche Theorie aufstellen möchte:
Ich kann mir niemals sicher sein kann, ob das Kausalprinzip was ich meine in der Natur erkannt zu haben, auch tatsächlich so existiert. Es ist immer möglich, dass es eine, mir noch unbekannte, weitere Kraft gibt (in unserem Beispiel der Busfahrer), die diesen von mir beschriebenen Mechanismus eigentlich steuert. Ich kann dies nur herausfinden, wenn ich alle anderen Alternativen verworfen, d.h. ausprobiert und für falsch befunden habe.
Im Grunde genommen wird moderne Wissenschaft auf diese Art und Weise betrieben. Jemand stellt eine Hypothese auf und alle Welt versucht diese zu widerlegen. Das ist einfach, wenn ich es mit Gegenwartswissenschaften wie z.B. der Physik zu tun habe, da ich dort in aller Regel Experimente bzw. mathematische Beweise durchführen kann. Problematischer wird das ganze in der Biologie.


Die Evolutionstheorie ist eine ziemlich widerliche Theorie, wenn wir sie aus wissenschaftstheoretischer Sicht betrachten. Sie funktioniert nämlich nur in der Retrospektive. Wir können zwar die basalen Mechanismen durch Laborversuche aufzeigen und testen, doch können wir z.B. Hypothesen wie der aufrechte Gang entstanden ist, nicht direkt im Labor testen, ebenso wenig wie wir in der Lage sind Verwandtschaftsbeziehungen von Tierarten direkt testen zu können. Alles was wir tun können, ist eine Theorie aufstellen in der z.B. ein Evolutionsökologisches Szenario beschrieben wird in dem ein Bestimmter Merkmalswandel vonstatten ging. Dieses Szenario, und die damit postulierte Merkmalstransformation, ließe sich theoretisch durch Fossilfunde falsifizieren. Wir können unsere Hypothesen letztendlich also nur „quasi-experimentell“ nachweisen, was natürlich nicht sehr befriedigend ist. Was das ganze noch erschwert, ist der Punkt, dass ich in der Lage sein muss meine Hypothesen in irgendeiner Form auf Fossilfunde zu beziehen, weswegen vor allem Hypothesen was die Evolution bestimmter Verhaltensweisen angeht häufig am Rande des „story-tellings“ entlangschrammen. Denn dummerweise sagt uns ein Haufen Knochen nur ziemlich wenig darüber, wie genau sich unsere Vorfahren verhalten haben, ob sie sprechen konnten und wie stark ihre kognitiven Fähigkeiten entwickelt waren.
Das ganze lässt natürlich einen großen Raum für Spekulationen offen und immer wieder wurden Hypothesen zur Evolution des Menschen entweder ideologisch geprägt, oder von Ideologien missbraucht. Man muss stets im Kopf behalten, dass man als Anthropologe nicht nur Aussagen über die Evolution unser eigenen Art trifft, sondern gleichzeitig auch auf philosophischer Ebene beschreibt, was der Mensch ist was ihn definiert.

Aus diesem Grunde, ist es, meiner Meinung nach, extrem wichtig über die wissenschaftstheoretischen Grenzen des eigenen Faches, sowie über die Art und Weise „gute“ wissenschaftliche Theorien aufzustellen, Bescheid zu wissen.

31.01.2011

Der aufrechte Gang bei Menschenaffen: Was man von Ambam lernen kann.

Ich bin ja irgendwo immer ein wenig uninformiert, aber scheinbar scheint sich das Video eines Zweibeinig gehenden Gorillas momentan im Internet einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen. Jedenfalls entnehme ich dies aus diesem Blogpost und der Tatsache, dass mir vor zwei Tagen mein Vater eine Email mit folgendem Video geschickt hat.








Oberflächlich sieht man hier zunächst einen biped laufenden Gorilla, aber dieser bipede Gang hat ziemlich wenig mit dem aufrechten Gang von uns zu tun. Um meinen Punkt etwas besser zu verdeutlichen hier ein Bild was man nach etwa 14 Sekunden sehen kann:


Ambam in Aktion, man beachte den nach vorne geneigten Oberkörper


Wie man hier sehr schön sehen kann, ist der Oberkörper von „Ambam“ (so heißt der Gorilla) recht stark nach vorne gebeugt. Dies hat nicht etwa mit irgendeinem Haltungsschaden zu tun, sondern damit, dass Gorillas (wie Schimpansen und Orang-Utans) nicht in der Lage sind ihr Becken komplett zu strecken. Warum sie dazu nicht in der Lage sind, hat mit dem Aufbau ihres Beckens und ihrer Lendenwirbelsäule zu tun.
Unsere Wirbelsäule hat, wenn wir uns aufrichten eine doppelte Krümmung, man spricht hierbei auch von einer „Doppel S“ bzw. „doppelt sigmoidalen“ (wenn man sich etwas gestelzt ausdrücken will) Krümmung, wie auf folgendem Bild zu erkennen ist:

Unterschiede in der Morphologie der Wirbelsäule beim Schimpansen und dem Menschen. (Henke & Rothe, 1999)

Wichtig ist in diesem Bild die Lendenwirbelsäule, also der Teil der Wirbelsäule der direkt über dem Becken liegt um dann in das Kreuzbein überzugehen. Wie man sehen kann, macht dieser Teil beim Menschen eine Krümmung zur Bauchseite hin. Diese Biegung ist möglich, weil sich die Lendenwirbel frei bewegen können. Durch die Biegung wird bewerkstelligt, dass unser Körperschwerpunkt (der etwas oberhalb des 2. Lendenwirbels liegt) beim aufrichten über das Becken zu verlagert wird.
Die Lendenwirbelsäule der großen Menschenaffen ist hingegen zu einer solchen Krümmung nicht in der Lage. Dies liegt daran, dass die „Schaufeln“ des Beckens bei den großen Menschenaffen viel länger sind als beim Menschen und die unteren Lendenwirbel „einklemmen“. Zusätzlich ist die Lendenwirbelsäule bei den großen Menschenaffen noch verkürzt, d.h. sie besteht aus weniger Wirbeln als beim Menschen. Diese spezielle Struktur der Lendenwirbelsäule bei den großen Menschenaffen hat mit deren Fortbewegungsweise in den Bäumen zu tun, wer genaueres dazu wissen will, dem sei folgender Post bei „A Primate of modern Aspect“ ans Herz gelegt, dort wird das wunderbar erklärt.
Morphologie des Torsos bei Mensch und Schimpanse (Aiello & Dean, 1990)


Man kann in dem Video noch weitere Unterschiede sehen, zum Beispiel das Ambam relativ stark nach links und rechts schwankt wenn er läuft. Dies hat zum einen mit dem etwas weiter vorne liegenden Schwerpunkt zu tun (er kann ja seinen Körper nicht komplett strecken) und zum anderen damit, dass er keine „physiologische X-Bein Stellung hat“. Beim Menschen sind die Oberschenkel so ausgerichtet, dass die Lotlinie nah an der Körpermitte liegt. Dies führt dazu, dass der Schwerpunkt beim gehen nur sehr wenig zur Seite ausgelenkt wird.
Dieses Merkmal fehlt bei den großen Menschenaffen und daher wird bei ihnen der Schwerpunkt viel stärker nach außen verlagert, wenn sie auf zwei Beinen gehen. Auch hier hat die unterschiedliche Ausrichtung der Oberschenkelknochen bei den großen Menschenaffen mit deren Lebens- und Fortbewegungsweise zu tun, so sind deren untere Extremitäten vie besser auf vertikales Klettern ausgelegt als unsere, sowohl was ihre relative Länge zur oberen Extremität, als auch was den Verlauf und den Aufbau der Muskulatur angeht.


Unterschiede in der Ausrichtung des Oberschenkelknochens bei Mensch und Schimpanse (Henke & Rothe, 1999)


Die Frage ist jetzt, ob die Bipedie von großen Menschenaffen uns in irgendeiner Form weiterhilft, wenn es um darum geht herauszufinden wie die menschliche Form der Bipedie entstanden ist, und ob wir sie als Modell für den aufrechten Gang der frühsten Hominiden benutzen können.
An dieser Stelle müssen wir extrem vorsichtig sein. Es ist nämlich ziemlich gefährlich Beobachtungen an rezenten Arten einfach in die Vergangenheit zu projizieren, denn schließlich haben wir keine Ahnung wie unsere Vorfahren tatsächlich herumgelaufen sind und wie genau die erste terrestrische Bipedie aussah. Einer meiner Professoren zitiert an Stellen wie diesen immer Robert Foley, der (irgendwo) sagte: „The past is a foreign coutnry, they did things differently there“.


Bislang deuten viele Informationen die wir haben darauf hin, dass die Ähnlichkeiten die wir im Skelett und in der Lokomotion von Gorillas und Schimpansen finden unabhängig voneinander entstanden sind. Gerade was die Morphologie des Beckens und der Lendenwirbelsäule angeht, finden wir auch bei Fossilen Arten Anzeichen dafür, dass die Bipedie der frühsten Hominiden nur recht wenig mit der, heutiger Gorillas und Schimpansen zu tun hatte. So lassen sich bei Ardipithecus ramidus Anzeichen finden, dass er über eine flexible Lendenwirbelsäule verfügte und im Laufe seiner Stammesgeschichte wohl nicht durch ein Stadium eines Schimpansen bzw. Gorilla ähnlichen „Fortbewegungsmodus“ gegangen ist (Lovejoy et al., 2009, Lovejoy & McCollum, 2010). Auch beim nächst, älterem bekannten Becken eines miozänen Menschenaffen, dem von Oreopithecus bambolii (einer Form die in der Toskana, bzw. auf Sardinien gefunden wurde) finden sich Anzeichen für ein flaches Becken mit einer niedrigen Lendenwirbelsäule (Köhler & Moya Sola 1997, Rooks et al., 1999).
Natürlich gibt es bei beiden Fossilien wieder einige Probleme was die Sicherheit dieser Informationen angeht, aber letztendlich liegt dies ja auch in der Natur von Wissenschaften im Allgemeinen.
Wir werden niemals genau wissen, wie ein bestimmtes Phänomen zustande kommt und das gilt besonders für die Evolutionsbiologie, wo wir Dinge nur in der Retrospektive betrachten können. Alles was wir tun können ist aus den Informationen die wir haben uns möglichst plausible Modelle zu bilden, wohl wissend das diese innerhalb kurzer Zeit komplett ihren Wert verlieren können. Wir werden niemals genau wissen wie das alles abgelaufen ist, aber wir können versuchen uns dieser Wahrheit Stück für Stück zu nähern und mit jedem Schritt etwas Neues zu lernen


In diesem Zusammenhang, kann der gute Ambam ganz interessant sein. Es wäre vielleicht ganz schön zu wissen, wie oft er tatsächlich aufrecht steht bzw. geht. Auch die Frage, ob er dieses Verhalten in irgendeiner Form (sei es genetisch oder kulturell) „geerbt“ hat ist ganz interessant und gerade in diesem Zusammenhang wäre es interessant zu sehen inwiefern sein Skelett ihn tatsächlich dazu befähigt effektiver auf zwei Beinen zu gehen als seine Artgenossen.




Literatur:


Aiello, L. & Dean, C. (1990). An introduction to human evolutionary Anatomy. Elsevier Academic Press, New York.
Henke, W. & Rothe, H. (1999) Stammesgeschichte des Menschen. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York.
Köhler M, & Moyà-Solà S (1997). Ape-like or hominid-like? The positional behavior of Oreopithecus bambolii reconsidered. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 94 (21), 11747-50 PMID:
9326682
Lovejoy, C., & McCollum, M. (2010). Spinopelvic pathways to bipedality: why no hominids ever relied on a bent-hip-bent-knee gait Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 365 (1556), 3289-3299 DOI: 10.1098/rstb.2010.0112
Lovejoy, C., Suwa, G., Spurlock, L., Asfaw, B., & White, T. (2009). The Pelvis and Femur of Ardipithecus ramidus: The Emergence of Upright Walking Science, 326 (5949), 71-71 DOI: 10.1126/science.1175831
Rook L, Bondioli L, Köhler M, Moyà-Solà S, & Macchiarelli R (1999). Oreopithecus was a bipedal ape after all: evidence from the iliac cancellous architecture. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 96 (15), 8795-9 PMID: 10411955

09.12.2010

Was wurde eigentlich aus Sahelanthropus tchadensis? (Teil 2: Schlussfolgerungen)

Ich habe meinen letzten längeren Post  ja etwas kryptisch beendet und habe deshalb noch ein paar Erklärungen nachzuholen.


Schauen wir uns hierzu zunächst folgende Abbildung an:

Zeitliche Einordnung der frühsten möglichen Hominidenformen. Das rote Oval zeigt den molekulargenetisch Bestimmten Zeitraum der Divergenz von Mensch und Schimpanse an. (Die Striche stehen für jeweils 2 Mio. Jahre). (Bilder aus Johanson & Edgar, 2006 u. Suwa et al., 2009)


Wir sehen hier eine Zeitleiste mit den frühsten möglichen Hominiden (außer Ar. ramidus kaddaba), das Oval kennzeichnet den Zeitraum der von der Molekulargenetik als der Zeitraum bestimmt in dem sich die Linien von Mensch und Schimpanse getrennt haben. Was wir hier sehr schön sehen können, ist dass diese drei Fossilien, mehr oder weniger, voll in diesem Zeitraum drin liegen.
Das ist zunächst einmal toll, denn wir sind auf jeden Fall in der Region wo sich die Linien von Mensch und Schimpanse getrennt haben und damit auch sehr nah am letzten gemeinsamen Vorfahren (LGV). Das bedeutet auch, dass diese frühen Formen in ihrer Morphologie diesem letzten gemeinsamen Vorfahren sehr ähnlich sein dürften. Dieser Punkt macht die taxonomische Einordnung dieser Fossilien jedoch enorm schwierig. Wie ich hier dargestellt habe, besitzen ursprüngliche Merkmale keinen Wert, wenn es darum geht einen Organismus taxonomisch einordnen zu können. Wenn ich jetzt, wie in dem Fall von Sahelanthropus, ein Fossil habe, was möglicherweise dem LGV sehr ähnlich war, so bedeutet dies, dass es noch viele ursprüngliche Merkmale mit diesem gemeinsam hat und sehr wahrscheinlich nur wenige abgeleitete Merkmale haben dürfte die für eine taxonomische Einordnung von Bedeutung sind. Das Bedeutet, dass ich sehr wahrscheinlich nur ganz schwer in der Lage bin, dieses Fossil überhaupt irgendwo einordnen zu können:

Das Problem der taxonomischen Einordnung der frühsten möglichen Hominiden: Es ist praktisch unmöglich sicher sagen zu können, ob sich ein Fossil auf der Stammlinie zum Menschen (A), auf der Stammlinie zum Schimpansen (B), kurz vor der Trennung von Mensch und Schimpanse (C), oder gar auf der Stammlinie zum Gorilla (wie es z.B. für Sahelanthropus tchadensis teilweise angenommen wird) (D) befindet.


Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Cobb (2008) als er versuchte die Morphologie des Gesichtsschädels de LGV zu rekonstruieren:

„(...)  it is not possible to determine with any confidence whether any of them is the LCA , or a stem taxon in either lineage, or a member of an extinct, and until now unrecognized, hominid lineage.” (Cobb, 2008; S.482).


Das bedeutet, wenn wir uns das alles ganz nüchtern betrachten, dass wir uns über keine dieser Formen sicher sein können, dass sie tatsächlich auf der Stammlinie zum Menschen stehen.

Und nun kommen wir endlich zum eigentlich Sinn des Posts: Wir mögen zwar nicht mit Sicherheit sagen können, wo genau wir diese Fossilen jetzt taxonomisch einordnen können, doch helfen sie uns auf jeden Fall dabei, den Zeitraum um die Trennung der Linien von Mensch und Schimpanse besser auflösen zu können. Sie helfen mir, die Morphologie des LGV besser rekonstruieren zu können, die helfen mir besser die ursprüngliche ökologische Nische der Hominiden besser rekonstruieren zu können und sie helfen mir besser zu verstehen, welche Bedingungen letztendlich zur Aufspaltung der Linien von Mensch und Schimpanse geführt haben könnten.
Natürlich mag es erstmal nicht so spektakulär klingen, wenn ich ein Fossil beschreibe und am Ende den Schluss ziehe „es ist zwar Hominidenähnlich, aber irgendwo sind wir uns da nicht so sicher“, doch würde eine solche Schlussfolgerung vermutlich viel eher der Wahrheit entsprechen.


Das alles mag sich jetzt nicht wirklich optimistisch anhören, aber wir können diese Problematik auf jeden Fall etwas entschärfen, wenn endlich mal irgendwelche nennenswerten Fossilien möglicher Schimpansen- und Gorillavorläufer gefunden würden.
Wir wissen im Grunde genommen nichts über die Evolution der Schimpansen und Gorillas, ganz im Gegenteil zu dem was wir über die Evolution unserer eigenen Art wissen (bzw. meinen zu wissen).
Dieser Punkt wird in aller Regel damit abgetan, dass sich in Regenwäldern (dem gewöhnlichen Habitat von Schimpansen und Gorillas) kaum Fossilien erhalten. Das mag zwar richtig sein, aber es wurde bislang ja kein ernsthafter Versuch unternommen trotzdem welche zu finden.
Wir haben deshalb so gute fossile Aufzeichnungen unserer eigenen Stammlinie, weil es in den letzten 40 Jahren riesige Anstrengungen gab, neue Fossilien zu finden. Hätte es diese Anstrengungen nicht gegeben, hätten wir heute auch nicht diese ganzen Fossilien. Das bedeutet im Gegenzug auch, dass ich, wenn ich nicht nach Gorilla- und Schimpansenfossilien suche, sehr wahrscheinlich auch kaum welche finden werde.

Esteban Sarmiento  (2010 S.1105b ) hat dies in ihrer Kritik an Ardipithecus ramidus etwas spitzfindiger ausgedrückt:


“ (...)it is curious that in a century-old race for superlative hominid fossils on a continent currently populated with African apes, we consistently unearth nearly complete hominid ancestors and have yet to recognize even a small fragment of a bona fide chimpanzee or gorilla ancestor.”


Ich persönlich würde einen fossilen Schimpansen übrigens wesentlich spektakulärer finden als den nächsten bahnbrechenden Superhominiden. Aber gut, letztendlich wäre es ja schließlich doch "nur ein Affe".

Aber sind wir das nicht auch?


Literatur:

Cobb, S. (2008). The facial skeleton of the chimpanzee-human last common ancestor Journal of Anatomy, 212 (4), 469-485 DOI: 10.1111/j.1469-7580.2008.00866.xSarmiento, E. (2010). Comment on the Paleobiology and Classification of Ardipithecus ramidus Science, 328 (5982), 1105-1105 DOI: 10.1126/science.1184148

Bildquellen:

Johanson D., Edgar, B. (2006). From Lucy to language. Simon and Schuster, New York

Suwa G., et al. (2009). The Ardipithecus ramidus Skull and Its Iimplications for Hominid Origins. Science 326, 68.


26.11.2010

Was wurde eigentlich aus Sahelanthropus tchadensis? (Teil 1: Beschreibung und Kritik)

Das ist eine wirklich gute Frage, schließlich liefert diese Art doch ein enormes Packet an spannenden Geschichten mit über die sich so vortrefflich diskutieren ließe, dass es wirklich einer Schande gleichkäme, wenn man dies nicht täte.


Fangen wir mit dem Fundort an. Anders als die meisten frühsten Hominidenformen (und Sahelanthropus ist bei weitestem die frühste von allen), ist diese Art nicht im Dunstkreis des Ostafrikanischen Grabenbruchs gefunden worden, sondern gute 2500 km westlich davon im Tschad. Diese simple Fakt, dürfte ziemlich viele Hypothesen über den Ursprung der Hominiden über den Haufen werfen, wenn, ja wenn Sahelanthropus denn auch wirklich ein Hominide ist.
Denn genau hier liegt das Problem, ein Problem was ich in einem meiner ersten Blogposts bereits aufgegriffen habe. Da mir dieser Post allerdings nicht mehr gefällt, werde ich an dieser Stelle nochmals etwas detailliert auf diese Geschichte eingehen.
Im Grunde genommen fußt Einordnung von Sahelanthropus zu den Hominiden auf zwei Säulen:

Der Morphologie und die Abnutzung des Eckzahns.

Der Annahme einer aufrechten Körperhaltung.



Schauen wir uns zunächst die Zähne an, bzw. den Eckzahn an:

Unterer rechter Eckzahn von Sahelanthropus tchadensis. (Brunet et al., 2005)
Ok, was ist jetzt so besonders an dem Teil? Nun, für einen Menschenaffen ist das Ding ziemlich klein. Wenn wir uns z.B. Schimpansen ansehen, dann sehen wir dort Eckzähne die die umliegenden Zähne um ein Vielfaches überragen. Charakteristisch für solch große Zähne ist ein so genannter „Zangenbiss“. Was das bedeutet, kann man auf dem folgenden Bild sehen:

 Henke &Rothe, 1994

Jedenfalls fehlen bei Sahelanthropus die Anzeichen für einen solchen Komplex, zudem sind die Eckzähne grundsätzlich relativ klein und ihr Abnutzungsmuster unterscheidet sich auch von dem heutiger Menschenaffen. Ein weiteres Indiz für die Annahme das Sahelanthropus ein Hominider ist, findet sich in der dicke des Zahnschmelzes, die genau zwischen der von heutigen Schimpansen und der von späteren Australopithecinen liegt.


Wie sieht’s mit der aufrechten Körperhaltung aus? Das Problem an der Sache ist, dass man keine Postkranialen Knochen gefunden hat, also keine Becken oder Oberschenkelfragmente, von denen man diese Sachen direkt ablesen könnte. Allerdings war man in der Lage man von der Orientierung und dem Winkel den das große Hinterhauptsloch (Foramen magnum), im Schädel einnimmt abschätzen, dass es wohl wahrscheinlicher gewesen ist, das Sahelanthropus aufrecht gegangen ist, als das er es nicht getan hat.

Winkel des Formamen magnum zur Augenhöhle. Nach Meinung der Autoren soll dieser ein Indiz für die Körperhaltung eines Individuums gewesen sein. (Zollikofer et al., 2005)
Hört sich doch soweit ganz gut an, Sahelanthropus ging wahrscheinlich aufrecht und auch in anderen Merkmalen unterscheidet er sich ziemlich stark vom Schimpansen.


Doch sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die Evolution des Menschen keine Stufenleiter von einem Schimpansen über mehrere weitere „Zwischenformen“ hin zu uns verlief und das deshalb rezente Arten nur bedingt als direkte Vorbilder dienen können.
Außerdem habe ich bei der ganzen Beschreibung noch einen wichtigen Punkt bislang nicht erwähnt. Sahelanthropus soll männlich gewesen sein. Dies wurde aus dem ziemlich dicken Überaugenwulst (Torus supraorbitalis) geschlossen, den das Fossil aufweist.
Was ist an diesem Punkt so wichtig, mag man sich fragen? Nun, wenn wir uns die Eckzähne ansehen, so sind sie klein, für ein männliches Individuum. Wäre Sahelanthropus weiblich so läge die Größe des Eckzahns so ziemlich in dem Bereich den man auch bei anderen weiblichen fossilen Menschenaffen beobachten konnte.

Wie wir also sehen können ruhen 50% der Annahme, dass Sahelanthropus tchadensis ein Hominide auf der Bestimmung seines Geschlechts. Da wir bislang leider nur einen Schädel von Sahelanthropus kennen, wissen wir nicht wie stark die Größe des Torus supraorbitalis geschwankt hat, also sollte wir, um abschätzen zu können wie gut sich dieses Merkmal eignet um eine Geschlechtsbestimmung durchführen zu können, mal ansehen wie sich der Kram bei rezenten Menschenaffen verhält:

 

Breite des Torus supraorbitalis bei rezenten Menschenaffen, Australopithecinen und Sahelanthropus tchadensis. (Brunet et al., 2002; modifiziert)


Das sieht irgendwie nicht so gut aus. Selbst bei so stark sexualdimorphen Arten wie dem Gorilla, überlappt die Größe des Torus supraorbitalis bei Männchen und Weibchen ziemlich stark. Das bedeutet im Gegenzug, dass dieses Merkmal im Grunde für eine Geschlechtsbestimmung an einem einzelnen Individuum bei einem komplett neuen Taxon vollkommen ungeeignet ist.


Dies war auch der Schluss, den Milford Wolpoff und Kollegen 2006 in ihrer ausführlichen Kritik der Sahelanthropus Zuordnung gezogen haben (Der Artikel ist übrigens frei verfügbar).
Im weiteren Verlauf des Artikels zeigen sie, in meinen Augen recht überzeugend, Stück für Stück auf, dass keines der ursprünglich zu Klassifikation von Sahelanthropus herangezogenen Merkmale tatsächlich Aussagekräftig ist. Entweder sind die Merkmale ursprünglich (bei einigen miozänen Menschenaffen finden sich ähnliche Abnutzungsmuster der Eckzähne und auch ein Zangenbiss ist nicht vorhanden), oder sie sind höchst Zweifelhaft (Orientierung des Foramen magnum).

Das war übrigens nicht der erste Anlauf von Wolpoff und seinen Kollegen. Bereits kurz nach der Beschreibung von Sahelanthropus veröffentlichten sie einen Kommentar in Nature der die ursprüngliche Interpretation kritisierte. Dieser wurde, auch relativ überzeugend von Michel Brunet beantwortet. Es wäre also zu erwarten, dass auf diese wirklich fundamentale Kritik eine ebenso fundamentale Antwort folgt, nicht wahr?
Bislang habe ich folgendes dazu gefunden, ich zitiere wörtlich:


„Scientifically it is impossible to understand why some authors ignore these derived characters and concentrate on primitive ones to reach the conclusion that S. tchadensis is related to modern apes and even more precisely to a palaeogorilla (Wolpoff et al. 2002, 2006; Pickford 2005). This attempt to undermine the clear affinity of the Chadian hominid is curious mainly when it is coming from, among others, two who have not yet had the opportunity to check Toumaı¨ casts in their laboratory. Is it what they believe, or is it only because they want to keep Orrorin as the earliest hominid?" (Brunet, 2010, S.3318)


Also irgendwo ist das doch etwas enttäuschend oder? Es ist vor allem deshalb enttäuschend, weil Herr Brunet in dem Artikel aus dem dieses Zitat stammt, kurz vorher die gleichen, angeblich abgeleiteten, Merkmale erwähnt hat, die Wolpoff und Kollegen kritisiert haben. Und statt sich die Mühe zu machen, die Kritik wissenschaftlich zu beantworten wird auf die Tatsache hingewiesen, dass zwei der fünf „Kritiker“ an der Beschreibung des nächsten Kandidaten für den Titel „frühster bekannter Hominider“ beteiligt waren.


Dies, werte Leser, ist keine Antwort, dies ist der Kindergarten der sich „Paläoanthropologie“ nennt. Man könnte Herrn Brunet genauso Selbstzweck unterstellen wie Martin Pickford und Brigitte Senut (die beiden Autoren um die es geht), denn schließlich hat er eine Menge Zeit und Engagement in seine Grabungsexpeditionen im Tschad investiert und Geld gibt es sicher auch reichlich, wenn man ein solches Fossil findet.


Es ist schwierig in diesem Zusammenhang von einer Debatte zu sprechen, wenn eine Fraktion dieser Debatte anscheinend kein Interesse daran hat sie weiterzuführen. Und so lange nichts Neues bekannt wird, bin ich der Meinung man sollte Sahelanthropus aus den Hominiden ausschließen.
Das bedeutet noch lange nicht, dass das Fossil dann seinen wissenschaftlichen Wert verliert. Was ich genau damit meine, werde ich in meinem nächsten Post darlegen.


Literatur:
Brunet, M., Guy, F., Pilbeam, D., Lieberman, D., Likius, A., Mackaye, H., Ponce de León, M., Zollikofer, C., & Vignaud, P. (2005). New material of the earliest hominid from the Upper Miocene of Chad Nature, 434 (7034), 752-755 DOI: 10.1038/nature03392
Brunet, M., Guy, F., Pilbeam, D., Mackaye, H., Likius, A., Ahounta, D., Beauvilain, A., Blondel, C., Bocherens, H., Boisserie, J., De Bonis, L., Coppens, Y., Dejax, J., Denys, C., Duringer, P., Eisenmann, V., Fanone, G., Fronty, P., Geraads, D., Lehmann, T., Lihoreau, F., Louchart, A., Mahamat, A., Merceron, G., Mouchelin, G., Otero, O., Campomanes, P., De Leon, M., Rage, J., Sapanet, M., Schuster, M., Sudre, J., Tassy, P., Valentin, X., Vignaud, P., Viriot, L., Zazzo, A., &Zollikofer, C. (2002). A new hominid from the Upper Miocene of Chad, Central Africa Nature, 418 (6894), 145-151 DOI: 10.1038/nature00879
Brunet, M. (2010). Two new Mio-Pliocene Chadian hominids enlighten Charles Darwin's 1871 prediction Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 365 (1556), 3315-3321 DOI: 10.1098/rstb.2010.0069
Henke, W., Rothe, H. (1994). Paläoanthropologie. Springer Verlag, Berling Heidelberg, New York
Wolpoff, M. H., Hawks, J., Senut, B., Pickford, M., & Ahern, J. (2006). An Ape or the Ape: Is the Toumaï Cranium TM 266 a Hominid? Paleoanthropology, 36-50
Zollikofer, C., Ponce de León, M., Lieberman, D., Guy, F., Pilbeam, D., Likius, A., Mackaye, H., Vignaud, P., & Brunet, M. (2005). Virtual cranial reconstruction of Sahelanthropus tchadensis Nature, 434 (7034), 755-759 DOI: 10.1038/nature03397