Sich mit taxonomischen Fragestellungen auseinanderzusetzen ist in aller Regel eine ziemlich undankbare Aufgabe. In irgendeiner Art und Weise tritt man immer irgendjemanden auf die Füße und in aller Regel dauert es nicht sonderlich lange, bis dieser jemand irgendetwas findet, was an den eigenen Ergebnisse nicht so ganz stimmig ist.
Das übliche Argument was kommt, ist dass die gefundenen Gemeinsamkeiten zwischen zwei, oder mehreren Arten, auf Parallelentwicklungen beruhen und daher nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse widerspiegeln. Dieses Argument kommt praktisch immer, wenn eine Studie zu den phylogenetischen Beziehungen zwischen großen Menschenaffen, fossilen Menschenformen und dem modernen Menschen publiziert werden, bzw. wenn irgendein neues Fossil gefunden wurde.
Das übliche Argument was kommt, ist dass die gefundenen Gemeinsamkeiten zwischen zwei, oder mehreren Arten, auf Parallelentwicklungen beruhen und daher nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse widerspiegeln. Dieses Argument kommt praktisch immer, wenn eine Studie zu den phylogenetischen Beziehungen zwischen großen Menschenaffen, fossilen Menschenformen und dem modernen Menschen publiziert werden, bzw. wenn irgendein neues Fossil gefunden wurde.
Die Morphologie hat in der Tat einen schweren Stand wenn es um dieses Problemfeld geht, da sie in schöner Regelmäßigkeit daran scheitert die Ergebnisse molekulargenetischer Studien zu diesem Thema zu reproduzieren (siehe Wood und Collard, 2002, Strait und Grine, 2004 sowie Wood und Harrison, 2010).
Stammbaum zu den phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnissen zwischen afrikanischen Mernschenaffen und Menschen nach molekulargenetischen Erkenntnissen. |
Doch haben diese Schwierigkeiten, tatsächlich etwas mit parallelen Entwicklungen zu tun, oder können diese auch woanders begründet sein?
Um diese Frage beantworten zu können, stellen wir uns erstmal eine Modellpopulation „P“ vor.
1. In dieser Population gibt es eine Reihe von Merkmalen, die extrem polymorph sind, d.h. sie können in mehr als einer „Ausführung“ innerhalb der Population vorkommen. Um das ganze übersichtlich zu halten, betrachten wir hier allerdings nur zwei Merkmale.
Das erste Merkmal hat entweder die Zustände "+" oder "-"
Das zweite Merkmal hat entweder die Zustände "Kreis" oder "Quadrat" (ich bin leider zu inkompetent um hier die Symbole hierfür einzufügen)
2. Nun spaltet sich eine Subpopulation, nennen wir sie „P1“ von der Hauptpopulation ab.
3. Kurz nachdem sich P1 abgespaltet hat, spaltet sich nun der Rest von „P“ in zwei weitere Subpopulationen „P2“ und „P3“ auf.
Wenn wir uns das Abspaltungsmuster betrachten, erkennen wir, dass P2 und P3 näher miteinander verwandt sind, da sich ihre Linien erst getrennt haben, nachdem sich P1 abgespalten hat. Wenn wir jetzt allerdings nicht dabei waren als sich die Populationen aufgespaltet haben, was quasi immer der Fall ist, wenn wir uns reale Verwandtschaftsverhältnisse ansehen, so sind wir auf die Merkmale angewiesen um einen phylogenetischen Baum rekonstruieren zu können. Das Problem in unserem Falle ist jedoch, dass die Merkmale die uns zur Verfügung stehen kein klares Signal aussenden. Stattdessen unterscheiden sich die Verwandtschaftshypothesen je nach Merkmal das ich betrachte.
Um es noch mal deutlich zu sagen, dieser Zustand ist nicht durch konvergente Evolution entstanden, sondern einfach das schnelle Aufspalten einer polymorphen anzestralen Population
Dieses Phänomen nennt sich unvollständiges „lineage sorting“. Interessanterweise finden sich in der DNA von Gorilla Schimpanse und Mensch eine Reihe von Hinweisen auf dieses Phänomen.
In einer Untersuchung von Satta und Kollegen (2000) sprachen insgesamt 40% der untersuchten Loci entweder für eine Schimpanse-Gorilla, eine Mensch-Gorilla oder eine Mensch-Gorilla-Schimpanse Trichotomie (alle drei Spezies haben sich gleichzeitig aufgespaltet). Genauso fanden sich in einer Arbeit von Salen und Kollegen (2003) ziemlich klare Hinweise auf unvollständiges lineage sorting.
In aller Regel ist diese ganze Geschichte eher ein Problem bei molekulargenetischen Arbeiten, und wird bei morphologischen Studien nicht wirklich bedacht. Hauptsächlich, weil es quasi nicht möglich ist, herauszufinden wie polymorph die anzestrale Population auf phänotypischer Ebene tatsächlich war. Ich persönlich denke aber, dass man diese Sache zumindest im Hinterkopf behalten sollte. Vor allem, wenn man sich betrachtet wie Polymorph unsere eigene Spezies auf morphologischer Ebene in der Vergangenheit war. Schließlich müssen wir, den Studien von Green et al (2010) sowie von Reich et al (2010) sei dank mittlerweile mindestens den Neandertaler, wenn nicht gar noch Homo heidelbergensis in unsere Spezies miteinschließen. Ich denke dieses Beispiel zeigt ganz gut, wie divers einzelnen Vertreter einer Spezies aussehen können, ohne dass ihre Fähigkeit sich miteinander zu kreuzen großartig eingeschränkt wäre. Ähnliches könnte ja auch für die anzestrale Population von Gorilla, Schimpanse und Mensch gegolten haben.
Welche Auswirkungen hat dies alles nun für Stammbaumrekonstruktionen, abseits davon, dass es einen weiteren Unsicherheitsfaktor gibt? Ich denke, die wichtigste Konsequenz aus dieser Sache ist, dass wir nicht in der Lage sind Aussagen über die „Qualität“ einzelner Merkmale oder Merkmalskomplexe treffen zu können. Selbst wenn die untersuchten Merkmale im Allgemeinen so komplex sind, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass die gleichen Merkmale zweimal unabhängig voneinander entstanden sind, so könnten sie immer noch durch unvollständige lineage sorting beeinflusst worden sein. Dies ist in der Studie von Salen et al. (2003) der Fall gewesen, die Merkmale untersucht haben, bei denen es nahezu unmöglich ist, dass diese zweimal unabhängig voneinander bei zwei nahe Verwandten Arten entstanden sein könnten.
Ich persönlich will nicht die Möglichkeit ausschließen, dass es innerhalb der Evolution der großen Menschenaffen zu Parallelentwicklungen gekommen ist. Doch sollte man vielleicht vorsichtig sein und ganze Kolonnen von Merkmalen deshalb als untauglich zu deklarieren nur weil sie nicht in der Lage waren, die „richtige“ Phylogenie zu rekonstruieren. Wir wissen, dass es bei der Aufspaltung der Linien von Gorilla, Schimpanse und Mensch zu unvollständigem Lineage sorting gekommen ist und auch wenn wir nicht wissen, wie stark der Phänotyp von diesen Sachen beeinflusst war, so sind wir nicht in der Lage, einfach davon auszugehen, dass dies einfach nicht der Fall war.
Vielleicht sollte man sich deshalb, anstatt auf morphologische Merkmale im Allgemeinen, auf die Merkmale konzentrieren die für die „richtige“ Phylogenie sprechen und untersuchen, inwiefern diese einen gemeinsamen Ursprung haben. Diese Merkmale könnte man dann auch mit relativer Sicherheit an fossilen Arten verwenden, ohne dass man sich großartig mit den üblichen, lästigen Problemen auseinandersetzen müsste.
Literatur:
Collard M, Wood B (2000). How reliable are human phylogenetic hypotheses? Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 97 (9), 5003-6 PMID: 10781112
Green, R. et al. (2010). A Draft Sequence of the Neandertal Genome Science, 328 (5979), 710-722 DOI: 10.1126/science.1188021
Reich, D.et al. (2010). Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia Nature, 468 (7327), 1053-1060 DOI: 10.1038/nature09710
Salem, A. (2003). Alu elements and hominid phylogenetics Proceedings of the National Academy of Sciences, 100 (22), 12787-12791 DOI: 10.1073/pnas.2133766100
Satta Y, Klein J, & Takahata N (2000). DNA archives and our nearest relative: the trichotomy problem revisited. Molecular phylogenetics and evolution, 14 (2), 259-75 PMID: 10679159
Strait DS, Grine FE (2004). Inferring hominoid and early hominid phylogeny using craniodental characters: the role of fossil taxa. Journal of human evolution, 47 (6), 399-452 PMID: 15566946
Wood, B., Harrison, T. (2011). The evolutionary context of the first hominins Nature, 470 (7334), 347-352 DOI: 10.1038/nature09709