Dieser Post ist eine Reaktion auf den Post “Ariel Cast out Caliban” von Eric Michael Johnson
Es gibt eine Menge Dinge in der Welt die mich stören: Personen im Bus die wie bescheuert auf den „STOP“ Knopf drücken um die Tür zu öffnen, Professoren die der Meinung sind zu wissen was mich interessiert obwohl ich mich zuletzt vor vier Jahren mit ihnen unterhalten habe und dumme Ideologien die sich biologischer Beispiele bedienen um ihre verqueren Weltsichten zu verbreiten. Ich würde sehr gerne über alle drei Themen schreiben, doch bleiben wir zunächst bei Thema Nr. 3.
Immer wieder in meinem Leben bin ich, in irgendeiner Form, folgendem Satz begegnet: „Wir sollten mehr wie Bonobos sein.“
Die menschliche „Natur“ wird in ihren Extremen interessanterweise von den Primaten vertreten, mit denen er am nächsten Verwandt ist: Schimpansen und Bonobos. Schimpansen werden in populären Darstellungen häufig als egomanisch, aggressiv und bisweilen übermäßig brutal dargestellt. Bonobos hingegen sind die ultimativen Pazifisten, zum einen haben die Frauen in den Gruppen das sagen und dann werden Konflikte und Stress in aller Regel durch Sexualverhalten gelöst und nicht indem man ein Männchen der Nachbargruppe /den Nebenbuhler zu klump haut oder einen armen Stummelaffen bei lebendigem Leibe in Stücke reißt.
Nach Hubert Markl (1983) werden alle Darstellungen über die Natur des Menschen in einen „ist“ Zustand, der in aller Regel böse und negativ ist und in einen „soll“ Zustand, der dem zu erreichenden Idealbild entspricht, abgebildet. In unserem Falle wäre der Schimpanse dann der „ist“ Zustand und der Bonobo wäre der „soll“ Zustand.
Diese ganze Geschichte wird neue Nahrung bekommen, wenn die Ergebnisse einer jüngsten Studie von Perelman et al. (2011) etwas bekannter werden. Dort wurde festgestellt, dass es im Genom vom Schimpansen nach der Trennung der Linien von Schimpanse und Bonobo zu mehr Veränderungen kam als beim Bonobo. Dies führt zu einem relativ geringen (und wohl nicht signifikanten- so habe ich zumindest gelesen) Unterschied im Verwandtschaftsgrad zwischen Bonobos und Schimpansen und würde den Bonobo zu unserem nächsten lebenden Verwandten machen.
Man muss sich das nur Vorstellen, unser nächster Verwandter ist der Inbegriff der Kooperation und des Altruismus! Das ultimative Abbild der tatsächlichen menschlichen Natur! Wieder einmal hat sich der Mensch ganz einfach viel zu weit von seiner wahren Natur entfernt, hat die moderne Gesellschaft ihn von seinen Wurzeln losgerissen! Wir müssen nur wieder zu unseren Wurzeln zurückkehren und alles wird gut!
Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Artikel in einer ähnlichen Form, vermutlich weniger ironisch etwas esotherischer formuliert, verwurstet wird. Vielleicht sollte ich die "verwurstung" gleich selbst übernehmen, ein halbseidenes Buch schreiben und es verkaufen um mein schmales Monatsbudget etwas aufzupolieren...
Der Punkt ist, sowohl Bonobos als auch Schimpansen sind MODELLE für unsere frühsten Vorfahren, Modelle die mehr oder weniger gut auf unsere eigene Entwicklung passen. Wir können nicht einfach Beobachtungen an einem rezenten Tier nehmen und es eins zu eins auf uns übertragen, damit es dabei hilft irgendeine bizarre Ideologie zu vertreten, genauso wie wir sie nicht dafür benutzen können um brutale Handlungen an unseren Mitmenschen zu rechtfertigen. Wir werden niemals genau herausfinden, wie sich unsere Vorfahren benommen haben und letztendlich spielt dies auch für unser Leben heutzutage eine untergeordnete Rolle. Das syrische Militär wird mit Sicherheit nicht aufhören auf Zivilisten zu schießen nur weil ihnen jemand sagt, dass unsere nächsten biologischen Verwandten einer Bande freizügiger Hippies entsprechen.
Außerdem sagen diese paar Prozent Unterschied im Genom erstmal gar nichts aus, da sie rein statistischer Natur sind. Möglicherweise liegen sie in Bereichen die für die Steuerung des Verhaltens gar keine Rolle spielen.
Fakt ist, dass wir zu beiden Extremen in der Lage sind: Übermäßige Brutalität aber auch an Selbstopferung grenzenden Altruismus. Für beide Extreme können uns Schimpansen und Bonobos helfen herauszufinden wo und wie diese Dinge biologisch verankert sind. Sie können uns also helfen uns selbst besser zu verstehen.
Ideologien und Weltbilder sind immer Menschenwerk und Menschenaffen haben uns häufig schon als Projektionsfläche für uns selbst gedient. Das gilt im Falle der Schimpansen im negativen Sinne, da sie für alles Schlechte im Menschen herhalten mussten. Das gilt aber ebenso für die Bonobos. Doch sollten uns immer im klar sein, dass sie, genauso wie wir, ihre eigene Geschichte haben und nicht einfach „halbfertige“ Menschen sind. Aus diesem Grunde können sie uns niemals als Vorbild für uns selbst dienen, oder wie Funny van Dannen es in seinem Song „Bonobo“ (aus dem ich auch die Überschrift für diesen Post habe) formuliert hat:
„Wir sollten versuchen Menschen zu werden, denn Affen sind wir ja schon.“
Literatur:
Markl, H. (1983) Wie unfrei ist der Mensch? Von der Natur in der Geschichte. In: Markl, H. (ed.). Natur und Geschichte. R. Oldenbourg, München, Wien. S. 11-40
Perelman P, Johnson WE, Roos C, Seuánez HN, Horvath JE, Moreira MA, Kessing B, Pontius J, Roelke M, Rumpler Y, Schneider MP, Silva A, O'Brien SJ, & Pecon-Slattery J (2011). A molecular phylogeny of living primates. PLoS genetics, 7 (3) PMID: 21436896