Wenn wir uns unsere Alltagsgegenstände betrachten, so ist relativ offensichtlich, dass diese in irgendeiner Form Zweckmäßig sind. Der Stuhl hat den Zweck, dass man sich auf ihn setzt und dementsprechend konstruiert. Eine Schere hat den Zweck Dinge zu schneiden und sofern man sie in der richtigen Hand hält (wie ich als Linkshänder schon früh gelernt habe) ist sie auch dafür konstruiert.
Betrachten wir uns lebende Organismen so scheint uns auch hier die Zweckmäßigkeit ins Gesicht zu springen: Der Herz ist dazu da um Blut zu pumpen, und das kriegt es auch in aller Regel hin. unser Becken ist für eine optimale Lastverteilung auf unsere zwei Beine ausgelegt usw. usf. All unsere Organe scheinen so aufeinander abgestimmt zu sein, dass auf dem ersten Blick an den heute vielgescholtenen Argumenten von Kreationisten und anderen Kreisen doch etwas dran zu sein scheint.
Und in der Tat, waren teleologische Weltbilder, also Weltbilder die von einer äußeren, immateriellen Zweckmäßigkeit der Natur ausgingen, lange Zeit kaum anfechtbar.
Kleine Information am Rande: Interessanterweise gab es im späten 18. bzw. frühen 19. Jahrhundert eine geistige Strömung (die sog. „Physikotheologie“) die vom heutigen „Intelligent Design“ kaum zu unterscheiden ist.
Es gab zwar bereits im frühen 19. Jahrhundert Versuche von Materialisten und Naturwissenschaftlern, teleologische Welt- und Naturbilder zu widerlegen, aber mit Ausnahme von Kant, dem dies auf geisteswissenschaftlicher Ebene in seinem Buch „Kritik der Urteilskraft“ gelang, waren diese Erklärungsversuche noch zu schwach. Es gab einfach kein Modell, was diese scheinbare Zweckmäßigkeit der Natur erklären konnte, ohne dabei auf irgendwelche äußeren Einflüsse zurückgreifen zu müssen.
Dies änderte sich erst, nachdem Darwins „Entstehung der Arten“ erschienen ist. Statt irgendeines intelligenten Schöpfergottes oder irgendwelchen Vorstellungen, die Natur würde in eine bestimmte Richtung streben, trat nun das Zusammenspiel aus Zufall und Notwendigkeit. Die scheinbare Zweckmäßigkeit allen Lebens die wir beobachten ist im Grunde genommen da Ergebnis eines ewig andauernden Prozesses aus Versuch und Irrtum, dem erst durch natürliche Selektion eine Form von Richtung gegeben wird. Man könnte also sagen, dass Organismen nicht gewollt zweckmäßig sind, sondern vielmehr zweckmäßig geworden sind.
Der ganze Kram lässt sich auch etwas netter zusammenfassen, so wie es z.B. Werner Bröker (1991, S. 118) gemacht hat:
„Im Gegensatz zum planmäßigen Handeln eines Menschen aufgrund eines selbstgesteckten oder eines vorgegeben Zieles, verdankt das biologische Einzelphänomen seine Zielgerichtetheit, seine Zweckmäßigkeit einem Prozess der Evolution und/oder im individuellen Leben erlernten Programm, das wiederum selbst ein hierarchisch, strukturiertes System von Kausalbeziehungen repräsentiert; es wird nicht das Programm durch ein vorgegebenes, dem evolutiven Prozess externes Ziel bestimmt, sondern im Programm ist das Ziel durch den komplexen evolutiven Prozess selbst fixiert.“
Um diesen Bereich inneren Zweckmäßigkeit der Natur (also quasi eine interne Teleologie), vom Begriff der Teleologie besser trennen zu können, führte Colin Pittendrigh im Jahre 1958 den Begriff „Teleonomie“ ein.
Die Quintessenz aus dieser ganzen Sache heißt eigentlich, die Evolution hat kein Ziel, kennt kein Ziel und wird niemals ein Ziel haben. Genauso wenig entstehen auch Merkmale nicht, damit sie einen bestimmten Zweck erfüllen. Sie entstehen, weil sich bestimmte Individuen, die eine bestimmte Merkmalsausprägung haben die sie unter bestimmten äußeren Bedingungen dazu befähigt sich besser überleben zu können, sich besser Fortpflanzen. Dieser Prozess, über einen langen Zeitraum ausgedehnt führt zu einer Verstärkung der selektierten Merkmale und letztendlich zu einer, von außen betrachtet zweckmäßigen, Ausprägung eben dieser.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht scheint alles klar zu sein, das Leben hat kein Ziel und keinen Zweck, es ist einfach da und wabert so vor sich hin, bis die Bedingungen auf der Erde so ungemütlich werden, dass kein Leben mehr möglich ist.
Stellt sich die Frag welche Auswirkungen das auf den Menschen hat. Aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ist hier die Antwort klar: Wenn es keinen Zweck und kein Ziel von außen gibt, kann die Antwort nach dem Ziel und Zweck der menschlichen Existenz nur in jedem einzelnen Individuum liegen.
Wie schon gesagt, dies ist die naturwissenschaftliche Deutung des ganzen, vermutliche werden hier eine Reihe von Philosophen und ganz sicher eine Menge Theologen dem widersprechen, oder zumindest anmerken, dass ein naturwissenschaftliches Weltbild auch immer ein äußerst reduktionistisches Weltbild ist.
Aber ich habe ganz persönlich überhaupt kein Problem damit, wenn alle Existenz im Grunde sinnlos ist und ich mir meinen Sinn selbst wählen kann, natürlich nur gemäß des Falles ich bin überhaupt frei in meinen Entscheidungen, aber das ist ein komplett anderes Thema. Wichtig in dieser ganzen Diskussion nach dem Sinn und Zweck der eigenen Existenz ist doch, dass man überhaupt existiert und zudem noch dazu in der Lage ist, darüber nachdenken zu können.
So, mit diesem etwas kitschigen Abgang wollen wir es für heute mal genug sein lassen, ich hoffe ich konnte ein kleines bisschen die Tragweite aufzeigen, welche die Evolutionstheorie in letzter Instanz besitzen kann. Und vielleicht konnte ich auch ein, oder zwei Irrtümer über die Art und Weise wie Evolution abläuft (Stichwort: Fortschrittsdenken) ausräumen.
Literatur:
Bröker, W. (1991) Teleologie und Teleonomie. in: Scheffczyk, L (ed) Evolution. Probleme und Aspekte ihrer Theorie. Alber, Freiburg, München, S. 97-121.
Vogel, C. (1982) Charles Darwins Werk über die Abstammung des Menschen. In: Darwin C. (1982, 4. Auflage) Die Abstammung des Menschen. Mit einer Einführung von Christian Vogel. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart. S. VII-XLII.